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Amors Hormonpfeile

Hormone sind die treibende Kraft der Libido. Sie stacheln unser sexuelles Interesse am Mann oder an der Frau an. Glücklicherweise sagen sie uns aber auch, wann es des Guten zuviel ist – damit wir uns nicht die Gesundheit ruinieren.

Von Ruth Jahn

Hormone gehen mit uns ins Bett. Die amerikanische Sexualforscherin Theresa Crenshaw formulierte es so: «Wer verliebt ist oder jemanden begehrt, ist nur bedingt zurechnungsfähig. Es findet vielmehr eine kollektive Entscheidung statt, an der etliche chemische Substanzen beteiligt sind, die alle ihre Stimme abgeben.» Und dabei könne gut sein, dass wir überstimmt werden. Die Stimmberechtigten der Sexsuppe in unseren Adern und Hirnwindungen sind unter anderem: Dopamin, Oxytocin, Prolaktin, Testosteron, Östrogen, Progesteron und Serotonin. Ein Kollektiv mit sozialer Sprengkraft: Es entscheidet nicht nur darüber, welche kleinen Unterschiede uns erregen, welche Herzen wir brechen, sondern auch, welche Wonnen oder Qualen wir im Sex erleben. Aber auch, ob wir treu und willens sind, uns ewig zu binden.

«Hormone sind Modulatoren, sie beeinflussen Liebe und Verliebtsein. Sie bewirken aber meist nicht, dass ein bestimmtes Verhalten mit 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit eintritt», so der Sexualforscher Tillmann Krüger, der als Arzt in der Klinik Balgrist der Universität Zürich arbeitet und am Institut für Verhaltenswissenschaften an der ETH Zürich forscht. «Wenn man einem Mann Testosteron spritzt, wird er nicht gleich über ein weibliches Gegenüber herfallen. » Jedoch würden Hormone bestimmte Verhaltensweisen wahrscheinlicher machen. «In einer erotischen Situation bestimmen auch unsere Bewertungen und Gefühle, ob und welche Hormone freigesetzt werden», sagt die Dozentin der deutschen Gesellschaft für Sexualforschung, Ruth Gnirss, die bis vor kurzem an der sexualmedizinischen Sprechstunde des Universitätsspitals Zürich tätig war.

Wissenschaftler versuchen derzeit das Puzzlespiel der Hormonwirkungen auf unser Liebes- und Sexleben zu vervollständigen. Doch allem Anschein nach handelt es sich dabei um ein Puzzle mit tausenden von Teilen. Denn die beteiligten Hormone erfüllen meist dutzende von Aufgaben im Körper. «Von Prolaktin zum Beispiel kennt man heute über 300 verschiedene Funktionen, vom Milcheinschuss nach der Geburt bis zur Steuerung der Sexualhormonproduktion in den Hoden», sagt Sexualmediziner Tillmann Krüger. Und zudem beeinflussen sich Hormone auch gegenseitig. Selbst Stresshormone mischen in der Liebe mit, allerdings weniger im Bett, wo man sie eher schlecht gebrauchen kann, als in Diskotheken, auf Parkbänken oder im Kino – in der ersten Verliebtheitsphase nämlich. Denn Verliebte schweben nicht nur auf Wolken: Mit Herzklopfen, schwitzenden Händen und mit flauem Magen sitzen sie vor dem Telefon, Euphorie und Verzweiflung wechseln sich ab: Wird er anrufen? Gefalle ich ihr? Werden wir uns wieder sehen? «Verliebt sein bedeutet Stress. Es ist ein physischer wie psychischer Ausnahmezustand, und das Ganze hat etwas Obsessives und Zwanghaftes», sagt Tillmann Krüger. Das spiegle sich im Hormonhaushalt von Frischverliebten, meint der Sexualforscher: «Stresshormone wie Cortisol oder Adrenalin sind auf höchstem Niveau.» Kein Wunder, macht Amors hormongetränkter Pfeil nervös, appetitlos und flatterig. Bei Verliebten gleicht sich der Pegel des Sexualhormons Testosteron interessanterweise an: Bei Frauen steigt die Konzentration. Bei Männern im Liebestaumel sinkt sie. Ganz so, als wollte die Natur die Unterschiede zwischen den Geschlechtern verwischen, weil es wichtig ist, sich zu finden. Auch der Pegel des Gehirn-Botenstoffs Serotonin ändert sich dramatisch bei Männern und Frauen, die immer nur an die eine oder den einen denken können. Er sinkt – und zwar ähnlich tief wie bei Zwangsneurotikern, wie das Forscherteam der italienischen Psychiaterin Donatella Marazitti festgestellt hat. Gleichzeitig überschwemmt Dopamin – das unser Suchtverhalten beeinflusst – das Belohnungszentrum im Gehirn von Verliebten. In Studien bei Männern hat Tillmann Krüger zeigen können, dass Dopaminagonisten – Stoffe, die dopaminartig wirken – die sexuelle Appetenz und auch das sexuelle Erleben verbessern.

DOPAMIN MACHT UNTREU

Doch kein Glück währt ewig: «Dopamin lässt uns zumindest daran zweifeln, dass der Mensch ein monogames Wesen ist», sagt Tillmann Krüger. Denn zumindest bei männlichen Schafen und Ratten haben Experimente gezeigt: Ihr Sexualtrieb sehnt sich nach Abwechslung, und das hat mit Dopamin zu tun. Führt man den Männchen ein Weibchen vor, schiesst der Dopaminspiegel im Gehirn in die Höhe. Bei der Kopulation steigt die Hormonkonzentration nochmals, um nachher – trotz weiterer Gegenwart des Weibchens – auf Normalwerte zurückzugehen. Setzt man den Männchen nun aber ein neues Weibchen vor, klettert der Dopaminwert erneut in die Höhe und die Männchen sind flugs wieder bereit zur Kopulation.

Während Dopamin den Partnerwechsel fördert, gibt Oxytocin Gegensteuer: Das Kuschelhormon, das soziale Ängste abbaut, stillende Frauen vor Stress schützt und Wühlmäuse monogam werden lässt, scheint Initialzünder für die menschliche Bindung zu sein. Es steigt bei Männern und Frauen während Berührungen, beim Vorspiel und nach dem Orgasmus. Bei Frauen wird der Hormonausstoss auch durch einen mechanischen Reiz von Scheide und Muttermund vermittelt. «Es ist möglich, dass während der Geburt und beim Sex bei Frauen ähnliche hormonelle Vorgänge ablaufen und dass die Bindung von der Mutter zum Kind und diejenige von Frau und Mann ganz ähnlich zustande kommen», sagt Primatenforscher Gustl Anzenberger vom Anthropologischen Institut der Universität Zürich. Mit jedem sollte man folglich nicht ins Bett, denn es wird womöglich Liebe daraus, warnte deshalb kürzlich augenzwinkernd das Wissenschaftsmagazin «New Scientist» seine Leserinnen und Leser.

DAS SÄTTIGUNGSHORMON

Nach dem Orgasmus schiessen bei Männern und Frauen auch grosse Mengen Prolaktin ins Blut. Prolaktin wirkt an den Geschlechtsorganen und verbessert die Empfängnis. Beim Mann moduliert es die Biosynthese von Steroidhormonen wie Testosteron und Östrogen. Tierversuche mit weiblichen Ratten und Mäusen haben zudem gezeigt, dass Prolaktin die Einnistung der befruchteten Eizelle in der Gebärmutter und die Versorgung des Fötus verbessert. Ob Sex, bei dem die Frau einen Orgasmus hat – dank Prolaktin – vielleicht auch das Schwangerwerden fördert, müssten allerdings Studien mit fortpflanzungswilligen Paaren erst zeigen, so Tillmann Krüger. Dabei ist Prolaktin der Gegenspieler des Scharfmachers Dopamin. Die beiden Hormone hemmen sich gegenseitig. Forschungen von Krüger lassen vermuten, dass Prolaktin ein eigentliches Sexsättigungshormon ist, das uns sagt, wann es des Guten zuviel ist. So scheint das Hormon dafür verantwortlich, dass die meisten Männer nach dem Sex eine Pause brauchen.

«Menschen mit krankheitsbedingt chronisch erhöhten Prolaktinwerten haben meist auch sexuelle Appetenzstörungen. Dies spricht dafür, dass Prolaktin ein Sättigungshormon ist und eröffnet gleichzeitig auch einen neuen Ansatzpunkt für eine Therapie», sagt Tillmann Krüger. Etwa geht Menschen, die an einem Hypophysenadenom erkranken, das grosse Mengen Prolaktin produziert, die Lust fast gänzlich abhanden. Auch pharmakologische Studien bei Männern, die Tillmann Krüger durchgeführt hat, stärken die Sättigungstheorie: Bei niedrigem Prolaktinspiegel steigt die Lust und die Qualität des Orgasmus. Ist der Spiegel hoch, sind diese Funktionen immerhin tendenziell schlechter im Vergleich zu Placebo.

Dank Prolaktin können wir uns «danach» befriedigt und entspannt fühlen. Besonders nach echtem Sex: Tillmann Krüger hat zusammen mit dem Psychologen Stuart Brody von der University of Paisley ermittelt, dass der Prolaktin- Ausstoss nach Sex mit einem Partner rund «vierhundert Prozent» grösser ist als nach Selbstbefriedigung im stillen Kämmerlein. «Der postorgasmische Prolaktinanstieg spiegelt die sexuelle Sättigung und könnte erklären, warum der Orgasmus beim Geschlechtsverkehr von vielen als befriedigender erlebt wird als bei der Masturbation», sagt Krüger. Auch aus evolutionsbiologischer Warte macht Sinn, dass reproduktiver Sex besser belohnt wird als andere sexuelle Aktivitäten. Ausserdem besagen Langzeitstudien aus den USA, dass sich nach regelmässigem Sex von zwei bis drei Mal pro Woche die Konzentration bestimmter Antikörper im Speichel erhöhe. Deutlich mehr Sex reduziert dagegen die Menge an Antikörpern.

AMOR UND PSYCHE

Fehlende Lust führt vor allem Frauen, aber auch Männer dazu, therapeutische Hilfe zu suchen. Ruth Gnirss hat während 12 Jahren in der sexualmedizinischen Sprechstunde am Departement für Frauenheilkunde der Universität Zürich gearbeitet und sich dabei auch mit dem Einfluss von Hormonen auf die Libido befasst. Die Libido ist gemäss der Sexualmedizinerin «ein subjektiver Zustand, der durch innere Stimuli – etwa erotische Phantasien – oder äussere Stimuli – zum Beispiel das innige Zusammensein mit einem geliebten Partner – entfacht werden kann». Daneben brauche es aber auch angemessene körperliche und hormonelle Abläufe, damit es zum sexuellen Begehren kommt. So seien neben zwischenmenschlichen und psychischen auch biologische Faktoren für Libidoprobleme verantwortlich, sagt Ruth Gnirss: «Gewisse Medikamente wie etwa Blutdrucksenker, Antidepressiva oder Cortison können die Lust genauso empfindlich schmälern wie körperliche Krankheiten und Erschöpfungszustände.»

Bei Männern nimmt ab dem 30. Lebensjahr das Sexualhormon Testosteron jährlich um etwa ein Prozent ab. Allerdings sei die Lustlosigkeit beim Mann nur selten hormonell bedingt, so Ruth Gnirss. Frauen hingegen berichten über Libidoprobleme in den Wechseljahren und über zyklusabhängige Schwankungen: «Viele haben mehr Lust in der ersten Zyklushälfte oder um den Eisprung, einige auch kurz vor der Periode», sagt Ruth Gnirss. Auch unter Ovulationshemmern empfänden viele Frauen eine Dämpfung ihres sexuellen Interesses. Neueren Studien gemäss hält diese Wirkung womöglich auch nach dem Absetzen der Pille an: Bei Frauen mit sexuellen Problemen, die die Pille genommen hatten, fanden Forscher vermehrt ein Protein im Blut, das Testosteron, das auch bei Frauen vorkommt, bindet und es somit dem Körper entzieht.

«Körperliche Ursachen für eine Libidoverminderung gilt es ernst zu nehmen, aber sie dürfen auch nicht überschätzt werden», resümiert Ruth Gnirss. Die Libido könne nicht losgelöst von belastenden Alltagssituationen, beruflichem Stress, etwaigen Partnerschaftsproblemen oder traumatischen Kindheitserlebnissen betrachtet werden: «Frauen werden lustlos, wenn sie mit ihrer Lebenssituation unzufrieden sind, wenn sie erschöpft sind, wenn sie gegenüber ihrem Partner einen Groll hegen oder wenn sie sich in der Sexualität einseitig an seinen Wünschen orientieren», sagt Ruth Gnirss. Bei Männern stehen hinter einem Libidoverlust häufig berufliche Kränkungserlebnisse oder eine unbefriedigende Partnerschaft.