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jubiläumstram

Chronik eines angekündigten Sieges

Medien beeinflussen Politiker und Stimmbürger in zunehmendem Mass, heisst es. Der vermeintlichen Allmacht der Medien sind aber klare Grenzen gesetzt, wie Forscher anhand der letztjährigen Asylgesetz-Abstimmung zeigen.

Von Roger Nickl

Das Resultat an der Urne war glasklar: Am 24. September 2006 sprachen die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sich unmissverständlich für ein neues Asylgesetz aus. Gut zwei Drittel, 67,8 Prozent, befürworteten eine härtere Gangart im Asylwesen. Die Rechte um Bundesrat Christoph Blocher jubilierte, die Linke, angeführt von alt Bundesrätin Ruth Dreifuss, war genauso konsterniert wie Markus Rauh, der einem kleinen bürgerlichen Nein- Komitee vorstand.

So klar das Votum des Volkes war, darüber, wie in unserer Mediengesellschaft solche demokratischen Entscheide entstehen, wissen wir wenig. Welchen Einfluss haben Berichte in Fernsehen, Radio, Zeitungen und Internet auf die Wählerinnen und Wähler? Mit welchen Strategien und welchem Erfolg versuchen parteipolitische Kampagnen, sie von ihrer Meinung zu überzeugen? Und wie entwickelt sich das Wissen des Publikums über ein Thema im Laufe eines Abstimmungskampfes? Solchen Fragen gehen drei Forschungsgruppen des «NCCR Democracy» in einem gemeinsamen Projekt nach. Wie unter einem Vergrösserungsglas untersuchen die Politologen und Publizistikwissenschaftler der Universität Zürich am Beispiel der Asylgesetzdebatte im letzten Jahr, wie die verschiedenen Zahnräder der Demokratie – Medien, Parteien, Stimmbürger – ineinandergreifen, sich beeinflussen und wie letztlich ein Abstimmungsentscheid an der Urne zustande kommt. In dieser Dimension wurde das in der Schweiz bislang noch nie untersucht. Das Projekt wurde vor gut einem Jahr gestartet, nun stehen erste Resultate fest.

POLITIKMARKE BLOCHER

Die Medien gelten traditionell als vierte Gewalt im Staat – als aufklärerisches Gewissen, das die politischen Prozesse kritisch begleitet, kommentiert und so massgeblich zur Meinungsbildung beiträgt. Heute wird der Einfluss von elektronischen Medien und Presse auf die Öffentlichkeit immer grösser. Dies verändert auch das Verhalten von Politikerinnen und Politikern. «Die Parteibindungen haben sich gelockert und die Medien sind in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren zunehmend wichtiger geworden», sagt Publizistikwissenschaftler Heinz Bonfadelli. Und mehr als das – Parteien übernehmen heute die «Logik» der Medien. Und diese geht vor allem in eine Richtung: Infotainment, Human Interest und Lifestyle. Wichtig sind prominente Köpfe und süffige «Stories», die auch ein attraktives Umfeld für Anzeigen und Werbung schaffen.

«Angesichts der zunehmenden Ökonomisierung ist es nicht mehr klar, ob die Medien die Bürgerinnen und Bürger noch mit den notwendigen Informationen für die politische Meinungsbildung versorgen», gibt Gabriele Siegert zu bedenken. Die Medienökonomin hat mit ihrem Team deshalb die politische Berichterstattung im Vorfeld der Asylgesetz-Abstimmung in 16 Deutschschweizer und welschen Zeitungen – vom «Blick» über «Le Temps» bis zur «NZZ» – sowie in den Nachrichtensendungen des Schweizer Fernsehens untersucht. Und sie hat mit 28 Chefredaktoren und Verlagsleitern Interviews über ihre Strategien in der politischen Berichterstattung vor und nach der Abstimmung geführt. Was sich zeigte: Dem Thema Asylgesetz wurde in den untersuchten Medien grosse Beachtung geschenkt. «Von einem Versorgungsproblem punkto Information kann keine Rede sein», bilanziert Siegert. Auch wenn sich der ökonomische Nutzen kaum berechnen lässt: Die politische Berichterstattung wird von den meisten Medien auch heute noch als Teil ihrer Identität betrachtet.

Was die Analysen der Publizistikwissenschaftler aber auch deutlich machten: Die Medienberichte über die Asylgesetz-Abstimmung konzentrierten sich sehr stark auf einzelne Personen. Im Rampenlicht stand vor allem einer – Bundesrat Christoph Blocher, der bei der Ausarbeitung des verschärften Asylgesetzes die Fäden zog. Blocher wurde in den Berichten fast dreimal so oft erwähnt wie alt Bundesrätin Ruth Dreifuss von der Gegenseite und rund viermal mehr als Markus Rauh vom bürgerlichen Nein-Komitee. «Christoph Blocher ist eine Politikmarke, jeder kennt seine Positionen », kommentiert Siegert, «das macht ihn auch für die Medien interessant.» Und Blocher ist ein verlässlicher «Shortcut». So bezeichnen die Medienforscher intellektuelle Abkürzungen: Anstatt sich mit dem Abstimmungsthema intensiv auseinanderzusetzen, übernehmen Wählerinnen und Wähler die Meinung einer Person oder Partei. Im Zeitalter der wachsenden Informationsflut und eines rückläufigen politischen Interesses werden solche Shortcuts zunehmend wichtig. Entsprechend gewinnen Personen und Parteien an Macht, die sich besonders für solche intellektuellen Abkürzungen anbieten. Inwiefern die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger bei der Asyl-Kampagne tatsächlich auf solche Shortcuts zurückgegriffen haben, wird momentan von Publizistikwissenschaftler Werner Wirth und seinem Team ausgewertet.

Trotz der medialen Omnipräsenz von Christoph Blocher setzten sich die Medien während des Abstimmungskampfes jedoch häufiger kritisch mit dem neuen Asylgesetz auseinander. «Rund 62 Prozent der in den untersuchten Beiträgen genannten Akteure vertraten eine mehr oder weniger ablehnende Haltung», betont Gabriele Siegert. Allein, die Wählerinnen und Wähler vermochte die mediale Kritik offensichtlich nicht umzustimmen. «In der Ausländerpolitik scheint die Bevölkerung über vorgefasste Meinungen zu verfügen, die der Beeinflussbarkeit enge Grenzen setzt», sagt Politologe Laurent Bernhard. Bereits 1987 und 1999 wurden Referenden, die eine Verschärfung des Asylgesetzes forderten, mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen – diese Grundhaltung war auch für die Abstimmung im letzten Jahr entscheidend.

Dass die Meinungen über das Asylgesetz in der Bevölkerung bereits weitgehend gemacht waren, war auch für viele der befragten Chefredaktoren im vornherein klar. Entsprechend fielen die Prognosen über den Ausgang der Abstimmung aus. «Die Medien werden gegen das Gesetz anschreiben, aber das wird nichts nützen», meinte einer der interviewten Chefredaktoren lakonisch. «Les jeux sont faits, rien ne va plus» – der Ausgang des Abstimmungskampfes schien im Fall Asylgesetz von Anfang an besiegelt. Von einer Allmacht der Medien in der Meinungsbildung kann nicht die Rede sein.

EMOTIONEN UND ARGUMENTE

«Tatsächlich ist der Medieneinfluss stark themenabhängig», betont auch Heinz Bonfadelli. Dass die Medien aber politisch auch wesentlich mehr bewirken können, zeigte sich dem Publizistikwissenschaftler in einer früheren Untersuchung zur Genschutz-Initiative aus dem Jahr 1998. Die Initianten verlangten damals, dass der Spielraum der Gentechnologie in der Schweiz wesentlich eingeschränkt wird. «Das Thema war komplex und setzte viel Wissen voraus », stellt Bonfadelli heute fest, «entsprechend deutlicher machte sich der Einfluss der Medien in der Meinungsbildung bemerkbar.» Zudem investierten die Gegner der Initiative viel Geld in den Abstimmungskampf – der erhoffte Effekt blieb nicht aus: Die anfängliche frostige, gentech- kritische Stimmung der Öffentlichkeit begann allmählich zu tauen. Im Juni 1998 wurde die Initiative schliesslich mit einem Stimmenanteil von 65 Prozent abgelehnt.

Zum Erfolg beigetragen hat auch, dass es dem Contra-Lager gelungen ist, die Wahrnehmung der Öffentlichkeit auf das Thema – das «framing», wie es im Jargon der Publizistikwissenschaftler heisst – in ihrem Sinne zu beeinflussen. So argumentierten die Gegner der Genschutz- Initiative, man dürfe Behinderten die Chance auf eine wirksame Gentherapie nicht nehmen – eine Botschaft, die bei den Stimmberechtigten offensichtlich ankam. Ein wirkungsvolles Framing attestiert Medienexpertin Siegert auch den Befürwortern des neuen Asylgesetzes: «Der Begriff Asylmissbrauch, der von der Pro-Seite ins Spiel gebracht wurde, macht potenziell alle Steuerzahler zu Betroffenen, er erlaubt – können tatsächlich auch Missstände nachgewiesen werden – eine wirkungsvolle Verbindung von Emotionen und Argumenten.» Dem Trend zu intellektuellen Abkürzungen in der Meinungsbildung zum Trotz: Im Laufe der Asylgesetzdebatte wurden nicht nur Schlagworte lanciert und reproduziert. Es wurde auch gelernt. Wie sich der Wissenstand in der Bevölkerung im Laufe des Abstimmungskampfes verändert hat, hat Heinz Bonfadelli mit seinem Team untersucht. Die Wissenschaftler fragten an drei Terminen – vor dem Abstimmungskampf, einen Monat vor der Abstimmung und nach dem Entscheid – jeweils über 1000 Wählerinnen und Wähler an. Sie wollten von ihnen wissen, ob sie bestimmte Argumente den jeweiligen Personen und Parteien zuordnen können. Und ob sie darüber informiert sind, welche Folgen eine Annahme beziehungsweise Ablehnung des Asylgesetzes zeitigen würde. Erster Befund der Untersuchung: «Wir konnten eine kontinuierliche Verbesserung des für die Abstimmung relevanten Wissens feststellen», erklärt Bonfadelli.

Nicht alle profitierten von der Berichterstattung aber im gleichen Mass: über den besten Wissensstand verfügten – wie in solchen Erhebungen üblich – ältere, gut ausgebildete Männer. Junge Stimmbürgerinnen und Stimmbürger waren dagegen weniger gut informiert. «Aber auch die Jungen haben dazugelernt», hebt Bonfadelli hervor, «die Wissenskluft hat sich im Laufe des Abstimmungskampfes zumindest nicht vergrössert – das ist ein wichtiger Befund für die Demokratie.» Auch ein Unterschied im Wissenserwerb der beiden gegnerischen Lager fiel den Forschern ins Auge: Während die Gegner der Vorlage über ein relativ differenziertes Wissen verfügten und auch über die Folgen einer Annahme des Gesetzes informiert waren, argumentierten die Befürworter eher mit «Shortcuts». Sie reproduzierten vor allem die Parolen der Meinungsführer, ohne sich gross mit den Konsequenzen auseinanderzusetzen. «Die Folgen für die Flüchtlinge lassen sich weniger gut mit einer Pro-Haltung verbinden», erklärt Medienexperte Bonfadelli, «da ist es naheliegend, diese einfach auszublenden.»

Trotz erster Resultate stehen die Publizistik und Politikwissenschaftler der Universität Zürich noch am Anfang ihres Forschungsprojektes. Momentan sind sie damit beschäftigt, die erhobenen Daten weiter auszuwerten. Und vor allem wollen sie noch andere Abstimmungskämpfe unter die Lupe nehmen, um die Feinmechanik der Mediendemokratie weiter zu ergründen. Ein möglicher Kandidat dafür wäre die Abstimmung zur Unternehmensbesteuerung im nächsten Februar: «Das Asylgesetz war vor allem etwas für den Bauch, beim Thema Unternehmensbesteuerung ist wohl eher der Kopf gefordert», mutmasst Gabriele Siegert. Die Forschenden fügen so Mosaikstein um Mosaikstein aneinander. Mit der Zeit wird ein differenziertes Bild entstehen, das zeigt, wie in der Schweiz Demokratie tatsächlich gemacht wird.