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Wenn Lachen Angst macht

Es gibt Menschen, die sich krankhaft davor fürchten, ausgelacht zu werden. Der Zürcher Professor Willibald Ruch hat eine eigene Phänomenologie dieser Krankheit, der Gelotophobie, entwickelt.

Von Thomas Gull

Werden Sie gerne ausgelacht? Wahrscheinlich nicht. Doch die meisten von uns können damit umgehen, wenn sie ab und zu das Ziel eines Scherzes sind, weil sie in der Lage sind zu unterscheiden, ob das Lachen gutmütig oder bösartig ist.

Ganz anders ergeht es Menschen, die an Gelotophobie leiden, der pathologischen Angst vor dem Lachen (gelos = griechisch für Gelächter). Gelotophobiker empfinden Lachen als bedrohlich, weil sie nicht differenzieren können, ob sich das Lachen gegen sie richtet, oder ob «mit» ihnen gelacht wird. Vielfach glauben sie auch, es werde über sie gelacht, selbst wenn das Lachen gar nichts mit ihnen zu tun hat.

Der «Pinocchio»-Komplex

Gelotophobiker haben eine paranoide Sensibilität für das Lachen. Sie unternehmen alles, um nicht lächerlich zu sein. Oft erreichen sie damit genau das Gegenteil: Sie wirken hölzern und verkrampft, weil sie versuchen, ihre Mimik und ihre Körperbewegungen zu kontrollieren. Die Wissenschaft bezeichnet dieses Phänomen als «Pinocchio»-Komplex, der die Gelotophobiker erst Recht zur Zielscheibe des Spotts macht.

Bisher wurde die Gelotophobie als Teil sozialer Phobien betrachtet. Es war nicht klar, ob sie sich systematisch von anderen Neurosen unterscheiden lässt,die eine übertriebene Schamhaftigkeit als Ursache haben. Jetzt ist es Willibald Ruch, Professor für Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik an der Universität Zürich, und seinem Assistenten René T. Proyer gelungen, aufgrund einer Studie mit neurotischen Patienten zu zeigen, dass dies tatsächlich der Fall ist: Mit Hilfe einer eigenen Phänomenologie können Gelotophobiker von anderen schambasierten Neurotikern unterschieden werden. Für Ruch ist Gelotophobie deshalb «ein nützliches neues Konzept, mit dem eine Untergruppe von schambasierten Neurotikern identifiziert werden kann».

Gelotophobie weit verbreitet

Ruch beschäftigt sich seit Ende der 90er- Jahre mit der Gelotophobie, die vom Psychoanalytiker Michael Titze erstmals ausführlich beschrieben wurde. «Ich habe vom Phänomen gehört, aber zuerst nicht daran geglaubt», erzählt Ruch.

Das hat sich gründlich geändert. Mittlerweile hat Ruch seine Untersuchungen auf die «gesunde» Bevölkerung ausgedehnt, das heisst auf Menschen, bei denen bisher keine neurotischen Störungen diagnostiziert wurden. Mit erstaunlichen Ergebnissen: fünf bis fünfzehnProzent der Befragten zeigen gelotophobische Symptome.

Die Untersuchungen wurden zuerst in Deutschland gemacht und dann durch Stichproben in der Schweiz und Österreich ergänzt. In der Zwischenzeit arbeiten Forscher auf der ganzen Welt mit Ruchs Methode. Wie erste Ergebnisse zeigen, gibt es zwischen den einzelnen Ländern beträchtliche Unterschiede. «Wir nehmen an, dass in Gesellschaften mit grösserer sozialer Kontrolle mehr Menschen an Gelotophobie leiden», sagt Ruch. Die ersten Auswertungen der Testergebnisse bestätigen diese These.

Betreuung von Mobbing-Opfern

Doch weshalb entwickelt jemand Gelotophobie? Der gängige Erklärungsansatz lautet, Gelotophobie werde durch traumatische Erlebnisse in der Kindheit ausgelöst, etwa indem Kinder ausgelacht und nicht ernst genommen und geliebt werden. Vergleichbare Ereignisse können auch im Erwachsenenalter noch zu Gelotophobie führen.

Ruch ist allerdings der Meinung, solche Erfahrungen alleine genügten nicht, um das Auftreten von Gelotophobie hinreichend zu erklären: «Man kann als Kind ausgelacht werden, ohne Gelotophobie zu entwickeln. Es braucht zusätzlich eine angeborene Neigung zu emotionaler Scham.»

Ruch hofft, dass aufgrund seiner Forschung die Gelotophobie nun aus verschiedenen Perspektiven untersucht wird. Er sieht auch bereits praktische Anwendungsmöglichkeiten seiner Erkenntnisse, beispielsweise bei der Betreuung von Mobbing-Opfern. «Gerade in diesem Bereich sensible Menschen sind prädestiniert, zu Mobbingopfern zu werden: wenn andere diese Schwäche erkennen und gezielt ausnutzen.»