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Spiel mir das Lied der Korruption

Um Korruptionsfälle in Ämtern und Unternehmen aufzudecken, braucht es interne Hinweisgeber. «Whistleblower» sind juristisch aber ungenügend geschützt. Das muss sich ändern, ist der Jurist Daniel Jositsch überzeugt.

Von Lukas Egli

Der Fall hat für Schweizer Verhältnisse etwas Schockierendes: Am 20. April 2006 ist der Steueramtschef des Kantons Zürich, Andreas M. Simmen, vom Regierungsrat fristlos entlassen worden. Er soll einzelne Steuerpflichtige begünstigt haben, wodurch dem Kanton Steuereinnahmen von rund vier Millionen Franken entgangen sein sollen. In 11 von 24 überprüften Fällen habe sich der Amtschef «Kompetenzanmassungen beziehungsweise die Umgehung des von der Verordnung über die Organisation des kantonalen Steueramtes vorgegebenen Weges» zuschulden kommen lassen, so das Fazit einer im November 2005 angeordneten Administrativuntersuchung. Es wäre ein klassischer Fall von Korruption: Wer beim Steueramtschef vorstellig wurde, soll günstigere Bedingungen als derjenige genossen haben, der mit einem gewöhnlichen Steuerkommissär vorlieb nehmen musste.

RIESIGE DUNKELZIFFER

Korruption in der Schweiz? Ein krasser Einzelfall? Bislang schon. Aber nicht etwa, weil es die Fälle nicht gäbe, sondern weil die Informanten fehlen, um solche Delikte aufzudecken. «In der Schweiz kommt es jedes Jahr zu 10 bis 30 Verurteilungen wegen Korruption», erklärt Strafrechtsprofessor und Korruptionsexperte Daniel Jositsch von der Universität Zürich. Man müsse von einer Dunkelziffer von bis zu 99 Prozent ausgehen. «Die wenigen Fälle, die zur Anklage kommen, sind nur die berühmte Spitze des Eisbergs », sagt er. Ins Rollen kam der Fall Simmen dank Mitarbeitern des Steueramts. Sie wandten sich im Sommer 2005 an Finanzdirektor Hans Hollenstein. Die Mitarbeiter warfen ihrem Amtschef Führungsprobleme vor. Doch nicht nur das. Sie bezichtigten ihn auch, einzelne juristische wie natürliche Personen bevorzugt zu behandeln. Finanzdirektor Hans Hollenstein nahm die Vorwürfe ernst. Er hielt seine schützende Hand über die Hinweisgeber, im Fachjargon Whistleblower genannt. «Whistleblower» heisst wörtlich übersetzt so viel wie «einer, der in die Pfeife bläst». Damit wird auf einen Schiedsrichter angespielt, der ein Spiel wegen Unregelmässigkeiten unterbricht.

DROHENDER STELLENVERLUST

Korruption bezeichnet den Missbrauch einer Vertrauensstellung in Verwaltung, Wirtschaft oder Politik. Wer korrupt ist, versucht einen materiellen oder immateriellen Vorteil zu erlangen, auf den er keinen rechtlich begründeten Anspruch hat. Als Korruption gilt Bestechung und Bestechlichkeit, Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung. Ohne interne Hinweisgeber ist es jedoch beinahe unmöglich, Korruptionsfälle aufzudecken. «Fast alle heute bekannten Korruptionsskandale wurden dank Whistleblowern aufgedeckt», so Jositsch, der sich darum vehement für einen besseren rechtlichen Schutz von solchen Hinweisgebern einsetzt. Denn von einem wirksamen Schutz von Whistleblowern, wie er in internationalen Korruptionskonventionen dringend empfohlen wird, kann in der Schweiz nicht die Rede sein. Ein Missstand, den auch Transparency International (TI), eine Organisation, die sich der Korruptionsbekämpfung verschrieben hat, schon mehrfach moniert hat. In Zusammenarbeit mit Nationalrat Remo Gysin (SP/BS) und Ständerat Dick Marty (FDP/TI) initiierte TI eine entsprechende Motion im Parlament in Bern. Doch der Bundesrat lehnte den Vorstoss ab mit der Begründung, geltendes Recht biete genügend Schutz für Whistleblower; zudem würde eine Schutzregelung den in der Schweiz geltenden Grundsatz der Kündigungsfreiheit gefährden. Eine Argumentation, die gemäss Jositsch nicht zieht: «Ein Whistleblower hat zwei grosse Probleme: Verpfeift er seine Firma, verliert er möglicherweise seine Stelle – übrigens meistens zu Recht, wie das Bundesgericht meint. Im Anschluss an die Kündigung muss er zudem häufig noch eine Ehrverletzungs- oder Schadenersatzklage gewärtigen», erklärt er. Ein Whistleblower aber müsse jederzeit Informationen liefern können, intern oder extern, ohne je Nachteile arbeitsrechtlicher oder strafrechtlicher Natur zu erleiden. «Entweder man schützt Whistleblower, oder man findet sich mit Korruption ab», so Jositsch.

WHISTLEBLOWER MEILI

Der Fall Christoph Meili – der Wachmann der damaligen SGB, der 1997 die Vernichtung von Bankbelegen aus der Zeit des Holocaust verhinderte – zeigt exemplarisch, wie es einem Whistleblower in der Schweiz ergehen kann. Nachdem Meili beobachtet hatte, dass Unterlagen über Bankbeziehungen mit jüdischen Holocaust-Opfern für den Shredder bereitgestellt wurden, deren Vernichtung zum fraglichen Zeitpunkt durch einen dringlichen Bundesbeschluss verboten war, nahm er einige Belege mit nach Hause und übergab sie einer jüdischen Organisation. In der Folge wurde Meili per Haftbefehl gesucht. Er hatte gegen das Bankgeheimnis verstossen und Bankeigentum entwendet, so die Strafverfolgungsbehörden. Meili gelang die Flucht in die USA, er erhielt dort als erster Schweizer politisches Asyl.

Auch nach Einstellung des Strafverfahrens gegen Meili wurde ihm immer wieder vorgeworfen, dass er, statt den Dienstweg einzuhalten und sich an eine interne Stelle zu wenden, an eine externe Stelle gelangte. Ansprüche, die Jositsch stören: «Wie soll jemand, der urplötzlich im Mittelpunkt steht, sich in allen Situationen korrekt verhalten?» Meili verfügte weder über die entsprechende Ausbildung noch über die entsprechende Persönlichkeit, eine solche Situation bravourös zu meistern. Sein Verdienst war, dass er Papiere in Sicherheit gebracht hatte, auch wenn sich im Nachhinein herausstellte, dass sie historisch von geringem Wert waren. «Ob wichtig oder nicht – man sollte so jemandem, statt ihn auszugrenzen, eine Ehrenmedaille verleihen. Die Gesellschaft ist auf Whistleblower angewiesen», ist Jositsch überzeugt. Andererseits seien Whistleblower immer auch unangenehme Personen. Denn sie halten den Finger da hin, wo es weh tut, und machen auf Dinge aufmerksam, die eigentlich niemand wissen will. Zudem stelle sich immer auch die Frage, wo die Grenze verlaufe zwischen Denunziantentum und Zivilcourage. «Das ist ein moralisches Dilemma, für das unsere Gesellschaft keine Lösung kennt», sagt er.

HOFFNUNGSLOSE IDEALISTEN?

Etwas Abhilfe schaffen soll hier die Whistleblower- Hotline, die Transparency International im März dieses Jahres eingerichtet hat und die von Daniel Jositsch wissenschaftlich begleitet wird. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Erstens ist die Hotline verwaltungsextern. «Bei sexueller Belästigung kann ein Opfer davon ausgehen, dass eine Firma die Übergriffe nicht goutiert. Ein Whistleblower hingegen weiss nie, bis auf welche Stufe die Firma korrupt ist», erklärt Jositsch. Eine externe Meldestelle gebe diesbezüglich mehr Sicherheit. Zentral ist zweitens die Gewährleistung von Anonymität. Ein Whistleblower muss jederzeit sicher sein, dass er durch seine Meldung keine Nachteile erleidet. Eine entscheidende Rolle spielt drittens die Publizität. «Niemand weiss, ob er schon nächste Woche ein Whistleblower ist», sagt Jositsch. Die Hotline müsse Medienpräsenz haben, damit potenzielle Whistleblower wissen, an wen sie sich wenden können. Die ersten Erfahrungen zeigen, dass es nach Berichten über Whistleblower vermehrt Meldungen gibt. «Das lässt darauf schliessen, dass Whistleblower lange überlegen, ob sie sich melden sollen oder nicht. Berichte über andere Fälle scheinen motivierend zu wirken», so Daniel Jositsch. Und Motivation tut Not.

Denn Whistleblower gehen ein sehr grosses Risiko ein. «Wer macht schon so etwas? Nur hoffnungslose Idealisten – weil sie sich in eine unmögliche Situation bringen, ohne einen einzigen Vorteil daraus zu ziehen», erklärt Jositsch und erzählt von einem Whistleblower, den er kürzlich getroffen hat. Dieser hatte intern Korruptionstendenzen gemeldet. Seine Meldung blieb ohne Resonanz. Schliesslich wandte er sich an die Strafuntersuchungsbehörden. Nun stand er selber vor Gericht wegen Verletzung von Geschäftsgeheimnissen. «Er ist in die Mühle geraten, aus der er so schnell nicht wieder herausfinden wird», so Jositsch. Doch ob zu Recht oder zu Unrecht «gepfiffen» wird, dürfe eben nicht entscheidend sein. «Wenn ein Arbeitnehmer den Eindruck hat, dass in seinem Betrieb strafbare Handlungen verübt werden, muss er das mitteilen können. Alles andere ist absurd. Man kann von einem Whistleblower nicht erwarten, dass er Handlungen in strafrechtlicher Hinsicht richtig einstuft», so Jositsch.

Doch der Mensch schlägt noch immer lieber den Überbringer der schlechten Nachricht – und vergisst, worum es eigentlich geht. Das illustriert das Schicksal von «Meier 19», dem ersten Whistleblower der Schweiz. Detektiv- Wachtmeister Kurt Meier bezichtigte im Jahr 1963 den Chef der Zürcher Kriminalpolizei des Zahltagdiebstahls. 88000 Franken waren entwendet worden. «Meier 19» – es gab viele Meiers damals im Polizeicorps – wurde entlassen. Jahrzehntelang kämpfte er für seine Rehabilitation. Erst 1998, 31 Jahre nach seiner wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses erfolgten Entlassung aus dem Polizeidienst, sprach ihm die Stadt 50000 Franken als Genugtuung zu. Wer indes den Diebstahl zu verantworten hatte, ist in der Aufregung um den vermeintlichen Denunzianten «Meier 19» nie geklärt worden. «Kameradentum und Loyalität werden bei uns immer noch viel höher eingeschätzt als die Motivation, Unregelmässigkeiten aufzudecken », sagt Jositsch. Das beginne schon bei der Erziehung, indem man den Kindern beibringe, dass man nicht petzt. «Vielleicht braucht es noch viele spektakuläre Fälle wie denjenigen des Chefs des Zürcher Steueramts, damit ein Umdenken einsetzt», sagt Jositsch.