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Kampf gegen blinde Passagiere

Sie sind eine Geissel der Menschheit: Viren sind äusserst wandelbar und nur schwer zu bekämpfen. Der Zoologe Urs Greber will die Krankheitserreger unschädlich machen, indem er die Wege zu den Zellen blockiert.

Von Carole Enz

Vogelgrippe, Sars, Ebola und HIV sind wie Flächenbrände durch die Medien gefegt. Immer neue Virusinfektionen halten die Menschheit in Atem. Berechtigterweise, denn die Bekämpfung von Viren ist äusserst schwierig. Die Krankheitserreger haben nämlich keinen Stoffwechsel wie etwa Bakterien und sind daher unempfindlich gegen Antibiotika. Bisher waren Impfungen die beste Waffe gegen Viren. Man machte die körpereigene Abwehr sozusagen mit dem «Steckbrief» eines Virus scharf. Doch weil Viren sich ständig verändern, ist dieses Vorgehen nicht immer erfolgreich.

Einer neuartigen, effizienteren Strategie auf der Spur ist Urs Greber, Professor am Zoologischen Institut der Universität Zürich. In Kooperation mit der ETH Zürich will er Möglichkeiten finden, den Weg von Viren in Zellen zu blockieren. Um dieses Ziel zu erreichen, beobachtet der Zellbiologe unter einem hochmodernen Mikroskop, wie «seine» Viren Zellen entern. Der Vorgang ist spannend wie ein Agenten-Thriller. Viren müssen ein Labyrinth durchqueren, als blinde Passagiere an Bord der Zelle gelangen, die Zellkern-Grenzkontrolle «mit gefälschten Ausweispapieren» passieren und dann wie Computer- Hacker die Zellgene so umprogrammieren, dass die Zelle Virenkopien herstellt.

ANKLOPFEN MIT GEBALLTER FAUST

Das extrazelluläre Geflecht umhüllt jede menschliche Zelle wie ein Labyrinth. Diese mechanische Schutzhülle besteht aus verschiedenen Lagen und Hohlräumen. Wasser, Eiweisse und Zuckerreste sind darin enthalten. Viren können sich in diesem Labyrinth verfangen oder verirren. Diejenigen Viren, die es bis zur Zellmembran geschafft haben, treffen auf eine Andockstelle – ein Rezeptormolekül. Viren docken damit an die Zellmembran an. Urs Greber spricht bildhaft: «Jetzt klopft das Virus mit geballter Faust an die Tür der Zelle.» In der Regel kann die Zelle anklopfende Viren nicht von Signalstoffen und Nahrungsmolekülen unterscheiden, die in die Zelle hereingelassen werden.

Einlass verschafft sich ein Virus durch das Abschnüren von Zellmembranteilen, die das Virus umhüllen. Auf diese Weise schliesst sich das Virus in ein Lipidbläschen ein, das von der Zelle aufgenommen wird. Nun ist der blinde Passagier an Bord der Zelle, im Zellinnern – aber noch nicht in der Schaltzentrale, wo er hantieren will. Viren benutzen die Transportmechanismen in der Wirtszelle, um zum Zellkern vorzudringen. Um in diesen hineinzugelangen, müssen sie ihr Lipidbläschen aufschliessen – mit Gewalt oder indem sie ein Loch bohren und durch dieses ihr nacktes Erbgut freisetzen. Letzteres ist sehr effektiv, weil es unbemerkt geschehen kann. Der Nachteil: Das nackte Erbgut muss schnell seine Aufgabe erfüllen, sonst wird es von der Zelle abgebaut.

Wenn sich die Viren oder Teile davon aus dem Lipidbläschen befreit haben, stehen sie vor den Schranken der Zellkernmembran – jetzt gilt es, massive Sicherheitsbarrieren zu überwinden, denn der Zellkern ist der bestgeschützte Ort der Zelle. «Um in den Kern zu gelangen, benötigen Viren gleichsam ‹gefälschte Pässe›. Wenn Viren zu wenig ‹Ausweispapiere› bei sich tragen oder diese schlecht lesbar sind, dauert es sehr lange, bis einem Virus Einlass gewährt wird», fügt Urs Greber hinzu. Als «Ausweispapiere» dienen spezialisierte Eiweissbestandteile der Viren. Sobald Viren den Kern geentert haben, wird das virale Genom ausgepackt und aktiviert. Wie ein Computer- Hacker programmiert es die Zelle um, damit sie Virenkopien herstellt.

Unsere Zellen sind den Viren jedoch nicht schutzlos ausgeliefert. Sie haben Strategien entwickelt, die Eindringlinge zu entdecken und zu vernichten. Eine Möglichkeit, wie Zellen Viren erkennen, liegt in der Struktur der Viren verborgen. Viren sind nämlich oft Ikosaeder. Zellen können die Oberflächenmoleküle wahrnehmen, die den Ikosaeder formen. Ist der Eindringling enttarnt, sendet die Zelle Notsignale. «Vielen befallenen Zellen gelingt es, diese Notsignale zu senden, bevor sie vom Virus lahmgelegt worden sind», erläutert Urs Greber. Diese Signale locken Fresszellen an. Dann ist es um die infizierten Zellen und die Viren gleichermassen geschehen. Eine weitere Abwehrstrategie von Zellen ist, dass die Viren in den Lipidbläschen gefangen bleiben und mit dem normalen Strom zellulären Materials mitgerissen und abgebaut werden. Dadurch wird virales Erbgut freigesetzt. Zudem zerlegt die Zelle die Eiweissbestandteile der Viren und präsentiert sie an der Zelloberfläche. Beides – Erbgutfragmente und Eiweissbestandteile – haben Alarmsignale und eine Immunantwort zur Folge. Die Zelle wird eliminiert. Das Immunsystem kann dank der präsentierten Eiweissbestandteile die im Körper frei herumdriftenden Viren desselben Typs erkennen und vernichten.

ANGST VOR DER VOGELGRIPPE

Die Wissenschaft hat sich bisher über das Immunsystem der Virenbekämpfung angenähert. Die Immunisierung durch eine Impfung hat aber mehrere Nachteile: Man muss den Erreger genau kennen und in grossen Mengen züchten können. Impfungen wirken zudem kaum gegen Viren, die sich rasch verändern. Urs Greber bringt es auf den Punkt: «Deshalb hat man Angst vor der Vogelgrippe. Wir wissen nicht, wie das Virus genau zusammengesetzt sein wird, falls es zu einem menschlichen Grippevirus mutieren sollte. Neben der Impfung benötigen wir daher neue Möglichkeiten, gegen potenzielle Pandemie-Erreger vorzugehen.» Der Zellbiologe Greber geht einen solchen anderen, neuen Weg. Seine Hypothese ist, dass Viren eine beschränkte Anzahl Wege in die Zelle benutzen können. Greber schätzt, dass es etwas weniger als ein Dutzend sind, und wagt erwartungsvoll einen Blick in die Zukunft: «Wenn wir diese Wege kennen und blockieren, können wir auf einen Schlag alle Virengruppen bekämpfen, die diesen Weg in die Zellen wählen. Zudem können wir dann bei neu auftretenden Viren sofort reagieren und eine schnelle Verbreitung oder gar eine mögliche Pandemie verhindern.» Grebers Versuchs- Viren sind folgerichtig Adenoviren – in diese Gruppe fallen nämlich auch Grippeviren, die zu Pandemien führen können. Doch alle seine Versuchs-Viren sind für gesunde Menschen ungefährlich.

GENE GEWÄHREN VIREN EINLASS

Um die Wege der Viren zu blockieren, muss Urs Greber wissen, welche Gene der Wirtszelle diese Wege beeinflussen. «Viren benötigen bestimmte Zellproteine, um Zellen zu infizieren. Wir wollen die Gene, die diese Proteine steuern, durch chemische oder genetische Inhibitoren ausschalten – natürlich ohne dass die Zelle zu Schaden kommt», betont Greber und hat dabei rund 23000 verschiedene Gene im Visier. «Wir sind daran, in Zellkulturen alle Kandidaten einen nach dem andern auszuschalten. Dann lassen wir verschiedene Virentypen diese Zellen entern und schauen, ob die Infektion gehemmt oder gar beschleunigt worden ist. Eine Hemmung bedeutet, dass wir die Gene gefunden haben, die dem Virus Einlass gewähren. Eine Beschleunigung zeigt, dass eine zelleigene Viren-Abwehr lahmgelegt worden ist. Eine solche Erkenntnis ist ebenfalls wichtig», umschreibt Greber das Projekt. Er benutzt ein ausgeklügeltes Verfahren, um den Infektionserfolg von Viren unter dem Mikroskop sichtbar zu machen: Er schleust ein Reporter- Gen in die Viren ein, das zu einer Lichtoder Farbreaktion führt, wenn eine Zelle erfolgreich infiziert worden ist. Nun gilt es, alle 23000 zu blockierenden Zellgene durchzutesten. Bis zu ersten Resultaten ist es noch ein langer Weg – bis zu erfolgversprechenden Medikamenten ein noch längerer. Das Wettrennen zwischen Viren und Menschen geht in eine neue Runde.