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Stimmt es, dass Tiere auch denken können?

Von Prof. Hans-Johann Glock

Die Antwort hängt nicht nur von empirischen Befunden aus Biologie und Kognitionswissenschaften ab, sondern auch davon, wie man einen umstrittenen Begriff wie den des Denkens versteht. Was heisst es überhaupt, geistige Eigenschaften und Fähigkeiten zu besitzen, und unter welchen Umständen können wir diese einem Organismus zuschreiben? Der Behaviorismus erklärt Verhalten mit Bezug auf Reiz-Reaktionsmechanismen, unter Ausklammerung von geistigen Phänomenen wie Denken und Erkennen. In der Humanpsychologie gilt dieser Ansatz seit langem als überholt. In der Tierpsychologie und der Verhaltensforschung dagegen stand die Zuschreibung geistiger Eigenschaften bis in die 80er-Jahre hinein unter dem Verdacht des Anthropomorphismus, der illegitimen Projektion menschlicher Züge auf Tiere. Seitdem hat jedoch ein radikales Umdenken stattgefunden. In der kognitiven Ethologie werden Tieren immer komplexere Denkprozesse zugeschrieben. Ausserdem sollen verschiedene biologische Kontinuitätsprinzipien zeigen, dass die geistigen Unterschiede zwischen Mensch und Tier nur eine Frage des Grades sein können. Der Versuch, hier qualitative Unterscheidungen zu treffen, erscheint dagegen als Ausdruck eines unwissenschaftlichen Anthropozentrismus.

Der Kollektivvorwurf des Anthropozentrismus ist aber ebenso unbegründet wie der des Anthropomorphismus. Aus der empirischen Tatsache, dass es biologische Ähnlichkeiten und entwicklungsgeschichtliche Kontinuitäten zwischen uns und nichtsprachlichen Tieren gibt, folgt nicht, dass deren Geistesleben dem unseren nahe kommen muss. Unsere mentalen Begriffe erfassen weder evolutionäre noch genetische oder neurophysiologische Unterschiede, sondern Fähigkeiten zum Verhalten und Wahrnehmen; Phänomene also, an denen wir Menschen im Umgang mit Artgenossen und anderen Tieren interessiert sind. So sind zwar unsere mentalen Begriffe selbst anthropozentrisch; aber es ist deshalb nicht automatisch anthropozentrisch zu bestreiten, dass diese Begriffe auf Tiere anwendbar sind.

Verschiedene Arten von Denken unterscheiden

Dass zumindest Wirbeltiere empfinden und wahrnehmen, ergibt sich aus ihren an Sinnesorgane geknüpften Reaktionsweisen. Und dass die höheren Wirbeltiere in verschiedenen Graden über Intelligenz verfügen, ergibt sich aus ihrer Fähigkeit, zuvor unbekannte Probleme auf flexible Art und Weise zu lösen. Denken gilt allerdings allgemein als eine «höhere» geistige Leistung, welche Tiere überfordert. Man sollte sich der Frage aber nicht über traditionelle Hierarchien nähern, sondern dadurch, dass man verschiedene Arten von Denken unterscheidet. Tiere können zweifellos an etwas denken, also ihre Aufmerksamkeit einem Gegenstand oder Ereignis widmen. Strittiger ist, ob Tiere über Dinge auch nachdenken können. Schliesslich gibt es noch denken im Sinne von glauben (der Überzeugung sein), dass etwas der Fall ist. Auch hier haben einige Philosophen Bedenken. In den einfachen Gedanken, die wir selbst Tieren zubilligen (etwa, dass die Sonne scheint), tauchen Begriffe auf.Aber könnenTiere über einen Begriff wie Sonne verfügen? Müssten sie dazu nicht unter anderem wissen, dass es sich um einen heissen Himmelskörper handelt, den die Erde umkreist? Und das können Wesen ohne Sprache doch gewiss nicht!

Dieser Einwand stellt jedoch zu hohe Anforderungen an den Besitz von Überzeugungen. Selbst wenn wir Menschen Überzeugungen zuschreiben, unterstellen wir ihnen oft nicht den Besitz der Begriffe, die wir selbst in der Zuschreibung verwenden. Wir können etwa sagen «Sarah denkt, dass der Angeber ihr gleich einen Keks gibt», ganz gleich, ob Sarah eine Erwachsene ist, ein Kind, das noch nicht über den Begriff «Angeber» verfügt, oder ein Hund. Sarah muss zwar die in der Zuschreibung erwähnten Dinge und Tätigkeiten von anderen Dingen unterscheiden können, aber eben nicht unbedingt mit Hilfe der Begriffe, die wir in unserer Zuschreibung verwenden. Sarah sollte den «Angeber» von anderen Personen unterscheiden sowie Kekse von Hundekämmen und geben von nehmen. Hunde können das. Tiere unterscheiden viele Phänomene und oft präziser als wir. Überdies sind viele ihrer Unterscheidungen nicht angeboren, sondern erlernt. Geht man davon aus, dass zumindest erlernte Unterscheidungsfähigkeiten für den Besitz von Begriffen ausreichen, dann besitzen einige Tiere zweifellos Begriffe – nur eben nicht unsere.

Keks oder nicht Keks, das ist hier die Frage

Ich glaube allerdings, dass blosses Unterscheiden noch keine begriffliche Klassifikation darstellt. Wenn Sarah über den Begriff Keks verfügt, dann reagiert sie nicht nur auf einen Gegenstand unterschiedlich, je nachdem, ob er ein Keks ist oder nicht; sie erkennt den Gegenstand auch als einen Keks. Das wiederum heisst, dass sie sich auf bedachte Weise zwischen verschiedenen Optionen entscheiden kann: Keks oder nicht Keks? Keks oder Hundekamm? Demzufolge ist die Fähigkeit zum Nachdenken zwar keine Voraussetzung für den Besitz einfacher Überzeugungen, wohl aber für den Besitz von Begriffen.

Es spricht viel dafür, dass zumindest Schimpansen über Klassifikationsprobleme nachdenken können. Sie unterscheiden auf bedachte Weise beispielsweise zwischen verschiedenen Nahrungsmitteln und Werkzeugen. Ihre Unterscheidungen sind also intelligent und vorausplanend (sie beruhen nicht auf Trial and Error). So wählen sie bereits vor der eigentlichen Jagd auf unterschiedliche Insektenarten die passenden Werkzeuge aus. Und sie sind geradezu pingelig, wenn es darum geht, einen passenden Stein zum Nüsseknacken auszusuchen, auch wenn noch keine Nüsse in Sichtweite sind. Also können zumindest manche Tiere nicht nur an etwas denken, und denken, dass etwas der Fall ist, sondern auch nachdenken und Begriffe haben.