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In der Geschlechterfalle

Junge Frauen entscheiden sich oft für typische Frauenberufe mit tiefen Löhnen und wenig Aufstiegschancen. Marlis Buchmann erforscht, weshalb sie in die «Geschlechterfalle» geraten und wie sie ihr entgehen könnten.

Von Thomas Gull

Buben werden Maurer, Automechaniker oder Ingenieur, Mädchen Coiffeuse, Verkäuferin oder Krankenschwester. Das war schon immer so und ist es auch heute noch oft. Natürlich gibt es auch Coiffeure und die eine oder andere Ingenieurin. Aber unsere Vorstellungen, welche Berufe zu Frauen und Männern passen, sind immer noch fest gefügt. Die Wissenschaft spricht in diesem Fall von «Geschlechterstereotypen». Diese haben dem Feminismus und der postulierten Gleichberechtigung zum Trotz ein phänomenales Beharrungsvermögen, wie die Soziologin Marlis Buchmann immer wieder feststellt. Buchmann ist Professorin für Soziologie an der Universität Zürich und leitet das Jacobs Center for Productive Youth Development.

Die Geschlechterstereotypen in unseren Köpfen haben Konsequenzen in der Arbeitswelt: Sie zementieren die geschlechtsspezifische Segregation des Schweizer Arbeitsmarktes. Diese verläuft sowohl horizontal wie auch vertikal. Horizontale Segregation bedeutet, dass ein Grossteil der Frauen und Männer in der Schweiz nicht in den gleichen Berufen arbeitet. Die vertikale, dass die Männer vielfach die hierarchisch besseren Positionen besetzen und die Frauen vorwiegend untergeordnete. Die typischen Frauenberufe bieten meist wenig Weiterbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten, haben ein geringeres Sozialprestige, und die Entlöhnung ist bei vergleichbaren Anforderungen schlechter als in den Männerberufen. Der Entscheid für einen Frauenberuf führt deshalb oft geradewegs in den «gender trap», die Geschlechterfalle.

Weshalb entscheiden sich viele junge Frauen trotzdem für einen Frauenberuf? Und wie können sie die Geschlechterfalle vermeiden? Diesen Fragen ist Buchmann in einer Studie nachgegangen, die sie im Rahmen des Schweizerischen Kinder- und Jugendsurveys COCON durchgeführt hat. COCON ist ein gross angelegtes Projekt, das die Entwicklung von Jugendlichen in der Schweiz aus einer Lebenslaufperspektive untersucht. Befragt wurden insgesamt 3200 Kinder und Jugendliche im Alter von 6, 15 und 21 Jahren (www.cocon.unizh.ch).

Für ihre Studie konnte Buchmann auf die Daten der 15- und 21-jährigen Frauen zurückgreifen. Wie sich zeigt, sind die Geschlechterstereotypen nach wie vor stark ausgeprägt: von den 15-Jährigen wollen rund 45 Prozent einen typischen Frauenberuf ergreifen, bei den 21- Jährigen sind es 38 Prozent. Als Frauenberufe gelten solche mit einem Frauenanteil von mehr als 70 Prozent.

DIE MECHANIK DER GESCHLECHTERFALLE

Doch wie funktioniert die Geschlechterfalle? Machen wir ein Beispiel: Eine junge Frau muss einen Beruf wählen und überlegt sich, was sie will und kann. Sie interessiert sich für Menschen und weniger für Zahlen (da sind die Frauen ohnehin nicht so gut, denkt sie), und entscheidet sich für einen typischen Frauenberuf. Ein guter Beruf, der passt zu dir, sagen alle und denkt auch sie. Die junge Frau macht die Ausbildung und arbeitet ein paar Jahre auf ihrem Beruf, der ihr gefällt. Doch wenn sie sich umschaut, stellt sie fest, dass sie vergleichsweise viel arbeitet und wenig verdient, obwohl ihr Beruf genauso anspruchsvoll ist wie jene ihrer männlichen Kollegen. Zudem hat sie kaum Möglichkeiten, sich weiterzubilden und beruflich aufzusteigen, während ihre Kollegen die Berufsmatura machten, eine Fachhochschule besuchten und jetzt gut bezahlte Jobs haben. Die junge Frau sitzt in der Geschlechterfalle. Was tun? Einen anderen Beruf lernen? Das dauert wieder drei oder vier Jahre. «Das ist einer der Nachteile unseres berufsorientierten Arbeitsmarktes », diagnostiziert Buchmann, «wer eine abgeschlossene Berufslehre hat, findet in der Regel zwar Arbeit, aber das Berufsfeld ist relativ eng.» Den Beruf zu wechseln ist deshalb sehr aufwendig. Doch die junge Frau hat eine Alternative: Sie heiratet und kümmert sich für ein paar Jahre um den Nachwuchs. Das ist zwar schön und gut, aber kein Ausweg aus der Falle. Das stellt sie fest, als sie nach ein paar Jahren wieder einsteigt. Sie findet zwar eine Stelle, aber alles ist wie gehabt. Da sie nur Teilzeit arbeitet, ist auch der Arbeitgeber nicht interessiert, in sie zu «investieren», und sie tritt für den Rest ihres beruflichen Lebens an Ort.

Frauen entscheiden sich vor allem deshalb für frauentypische Berufe, weil sie das Gefühl haben, die dafür notwendigen Fähigkeiten mitzubringen. Ein klassischer Fall von kulturellen Geschlechterstereotypen, diagnostiziert Buchmann: «Wir glauben immer noch, Frauen seien besser geeignet für bestimmte Tätigkeiten.» Vielfach sind dies Berufe, die früher innerhalb der Familie ausgeübt und nicht bezahlt waren. Mit der Industrialisierung wurde ein Teil dieser Tätigkeiten dann verberuflicht und als Lohnarbeit angeboten. «Geblieben aber ist der Makel der unqualifizierten Familienarbeit, die nichts kostete.» Er trägt dazu bei, dass viele Frauenberufe schlecht bezahlt sind und ein tiefes Sozialprestige haben. Wir sind uns dieser Geschlechterstereotypen durchaus bewusst. Sie werden dazu verwendet, Berufe mit einem Label zu versehen, auf dem dann oft steht: «Für Frauen geeignet», oder eben «für Frauen nicht geeignet». Und die Frauen lassen sich von diesen Stereotypen leiten, wenn es darum geht, ihre Präferenzen und Fähigkeiten zu definieren.

GUT IN MATHEMATIK

Indem sich die jungen Frauen für einen Frauenberuf entscheiden, gehen sie den Weg des geringsten Widerstandes. Das sei durchaus verständlich, findet Buchmann: «Bei uns muss man sich in einer kritische Phase der Identitätsfindung für einen Beruf entscheiden. Deshalb ist die Bereitschaft, von den Geschlechternormen abzuweichen, relativ gering.» Wenn ein Mädchen Verkäuferin wird, hat sie damit bei ihren gleichaltrigen Kolleginnen keine Probleme – anders sieht es aus, wenn sie Kaminfeger oder Automechaniker werden will. Die Geschlechterstereotypen funktionieren auch bei den Arbeitgebern. «Eine Frau als Kaminfeger?» – was sagen meine Kollegen, was die Kunden dazu, dürfte sich mancher Lehrmeister fragen, um sich dann für die traditionelle, männliche Besetzung der Stelle zu entscheiden.

Den Geschlechterstereotypen und gesellschaftlichen Hindernissen zum Trotz: Mehr als die Hälfte der jungen Frauen wählt heute keine typischen Frauenberufe mehr. Dabei spielen Werte eine zentrale Rolle, wie Buchmann festgestellt hat: «Jene jungen Frauen, die einen interessanten Beruf mit guter Bezahlung und Aufstiegsmöglichkeiten wollen, entscheiden sich in der Regel gegen einen Frauenberuf.» Eine Entscheidung, die von den Eltern massgeblich beeinflusst wird. Etwa, wenn sie die Mädchen bei einer unkonventionellen Berufswahl unterstützen oder indem sie die Geschlechterstereotypen ganz grundsätzlich hinterfragen, beispielsweise weil sie Wert darauf legen, dass ihre Töchter nicht nur im Lesen und Schreiben gut sind, sondern auch in der Mathematik. Weniger wichtig als vermutet ist hingegen die berufliche Vorbildrolle der Mutter. Wobei das Ergebnis zwiespältig ist: Während es für die Berufswünsche der 15-Jährigen keine Rolle spielt, ob die Mutter einen frauentypischen Beruf hat, dient ein solcher den 21-Jährigen als stark negatives Vorbild, von dem sie sich distanzieren. «Die 21-Jährigen haben eine klarere Sicht auf die Arbeitswelt und können den Beruf der Mütter deshalb realistischer einschätzen», kommentiert Buchmann.

Die Soziologin hat auch die Erwerbsstatistik analysiert und dabei Erstaunliches festgestellt: Die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat in den vergangenen gut 30 Jahren markant zugenommen – 1970 waren 48 Prozent aller Frauen zwischen 15 und 65 erwerbstätig, im Jahr 2000 waren es 67 Prozent. Der Anteil der von Frauen geleisteten Arbeitsstunden am gesamten Arbeitsvolumen hat sich jedoch zwischen 1991 und 2004 (für die Zeit davor existieren keine Zahlen) nur marginal von 34 auf 36 Prozent erhöht. «Das bedeutet, dass immer mehr Frauen kleinere Arbeitspensen leisten», konstatiert Buchmann. Erklären lässt sich dieses Phänomen mit der Zunahme von marginaler Teilzeitarbeit bei Frauen. Vor allem Mütter tauschen die Nicht-Erwerbstätigkeit gegen Erwerbsarbeit von wenigen Stunden pro Woche.

BILDUNG FÜHRT AUS DER FALLE

Doch was ist mit all den Frauen, die gut ausgebildet sind und im Beruf Karriere machen? Die gibt es natürlich auch, und sie machen sich auch statistisch bemerkbar. Buchmann spricht von der «Feminisierung der Arbeitswelt» die zwar langsam, aber stetig voranschreitet. Vor allem im Dienstleistungssektor und bei den akademischen Berufen haben sich für die Frauen neue Möglichkeiten eröffnet. Der gestiegene Bedarf an Arbeitskräften hat die Arbeitgeber gezwungen, auch für Stellen in traditionell von Männern dominierten Berufen auf Frauen zurückzugreifen. Nach dem Motto: Wenn wir keinen Mann finden, nehmen wir halt eine Frau. Wobei es gut ausgebildete Frauen leichter haben, in ursprünglichen Männerdomänen Fuss zu fassen – es ist einfacher, Rechtsanwältin zu werden als Automechanikerin. Der beste Weg aus der Geschlechterfalle ist deshalb die Bildung. Wenn frau die Matura hat, dann steht ihr heute die Berufswelt weit offen. Bei der höheren Bildung haben die Frauen die Männer mittlerweile in vielen Bereichen überholt, wie auch ein Blick auf die Studierendenstatistik der Universität Zürich zeigt. Im Wintersemester 2006/07 waren 54 Prozent der Studierenden weiblich, nur gerade in zwei Fakultäten liegt der Frauenanteil unter 50 Prozent (Wirtschaftswissenschaften 28,5 Prozent, Naturwissenschaften 46,3 Prozent), während er in der Veterinärmedizin bei über 80 Prozent und bei den Geistes- und Sozialwissenschaften bei 63 Prozent liegt. Während Frauen mit guter Bildung viele Türen offen stehen und sie Ärztinnen, Rechtsanwältinnen oder Buchprüferinnen werden können, sieht es für jene, die sich für eine einfachere Berufslehre entscheiden, weniger gut aus. Frauen etablieren sich nicht nur in ehemaligen Männerdomänen, es gibt auch den gegenläufigen Trend, den Rückzug der Männer aus gewissen Berufen. Seit 1970 haben sich rund 16 Berufe wie Primarlehrerin, kaufmännische Angestellte oder Drogistin auf diese Weise zu reinen Frauendomänen entwickelt.

Der Weg aus dieser Sackgasse wäre die Aufwertung der Frauenberufe, etwa indem die Ausbildungen anforderungsreicher und stärker formalisiert werden, indem Möglichkeiten für Weiterbildung im tertiären Bereich geschaffen werden, und indem die «Tätigkeitsbündel» neu geschnürt werden, die zu einem Beruf gehören. «Auch die Frauenberufe sollten in der Breite und nach oben offener angelegt sein», postuliert Buchmann. Idealerweise würden die Anforderungsprofile der Berufe geschlechterunabhängig. «Wenn sich die Berufe besser durchmischen, hätte das Auswirkungen auf das Sozialprestige und die Löhne. Das könnte eine ganz neue Dynamik auslösen.» Die Überwindung der beruflichen Geschlechtersegregation wäre ein entscheidender Schritt zu Gleichberechtigung in der Arbeitswelt. Allerdings ein ziemlich grosser, wie es im Moment scheint. Und einer, der in den Köpfen beginnt.