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Viren in den Selbstmord treiben

Die Virologin Karin Moelling hat entdeckt, wie das HI-Virus überlistet werden kann. Jetzt, mit 64, sucht sie nach Wegen, wie sich Forschende nach der Emeritierung noch in die Gesellschaft einbringen könnten.

Von Paula Lanfranconi

Die Journalistin muss warten. Der Abgabetermin für eine wichtige Arbeit eines Mitarbeiters steht bevor, da hat das Gespräch über die eigene Person zweite Priorität. Und dann kommt sie, die schmale ältere Dame, die man immer dann im Fernsehen sieht, wenn gefährliche Seuchen drohen – SARS, Vogelgrippe, Influenza. Wie ist es eigentlich, im Rampenlicht zu stehen, so wie vor einigen Wochen wieder, als die internationalen Medien titelten: «Zürcher Professorin findet Killer-Enzym gegen Aids»? Die Virologin winkt ab. Ihr geht es um die Sache.

Karin Moelling, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie, fasst die Besucherin mit klugen braunen Augen in den Blick und erläutert in einfachen Worten ihre neueste Entdeckung. «Anstatt ein Medikament anzuvisieren, das die Vermehrung des HIV hemmt, machen wir das Gegenteil: Wir veranlassen das Virus, einen Schritt zu tun, den es bei der Vermehrung ohnehin tut – aber zu früh.» Dieser Schritt aktiviert eine RNase H, eine «molekulare Schere », die das Erbgut des Virus zerschneidet, bevor dieses eine Kopie davon angefertigt hat. So begeht der Erreger Selbstmord, noch bevor er in die Zelle eingedrungen ist.

Es ist die Eleganz der Methode, die die Virologin fasziniert: «Mein Ansatz», sagt sie mit einem feinen Lächeln, «ist zwar spezifisch für das HI-Virus, aber er erhält vielleicht Unterstützung von den zellulären Scheren.» Aussergewöhnlich an Moellings Ansatz ist zudem, dass das Virus auch im Blut zerstört werden kann. Da hat es die Forscherin schon ein bisschen enttäuscht, dass die grosse Publizität ihr keine Anfragen von Pharmafirmen eintrug, denn immerhin könnte ihre Entdeckung endlich zu einem funktionierenden Mikrobiozid führen, zum Beispiel in Form von Scheidenzäpfchen, die Frauen vor der Ansteckung mit dem HIVirus schützen.

MOLEKULARE SCHERE GEGEN AIDS

Mit der Welt der Viren steht die Physikerin und Biochemikerin seit bald 40 Jahren auf Du und Du. Schon als Doktorandin entdeckte sie die RNase H, ein Enzym. Erst vor wenigen Jahren ist ihr klar geworden, dass sie mit dieser molekularen Schere einen möglichen Schlüssel für die Bekämpfung von Aids gefunden hatte. «Meine Schere ist kombinierbar mit dem Silencing, dem Abschalten von Genen, für das letztes Jahr der Nobelpreis vergeben wurde.» Auch sonst hat Karin Moelling früh bahnbrechende Entdeckungen gemacht, zum Beispiel zur Übertragung von Signalen in den Zellen. Viele ihrer Befunde stehen heute in den Lehrbüchern, werden aber nicht mit ihr in Verbindung gebracht. Für ihre neuste Entdeckung interessiert sich zwar die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung. Aber das heisse noch lange nicht, dass auch Geld fliessen werde, meint die Forscherin, die seit 14 Jahren in Zürich lehrt und ein Institut mit 45 Mitarbeitenden aufgebaut hat. Trotzdem ist sie zuversichtlich: «Mein Prinzip ist so völlig anders, dass ich vielleicht eine Chance habe.»

Was hilft ihr am meisten, wenn ein Projekt in der Sackgasse steckt? Eigentlich ist das die falsche Frage an eine Forscherin, doch Karin Moelling ist ein höflicher Mensch. Dass es nicht klappe, komme oft vor. Dann hängt sie sich rein, bis sie weiss, warum sie etwas nicht verstanden hat. Karin Moelling ist schnell, nicht nur im Denken. Und sie ist Norddeutsche. Am Anfang hatte sie es nicht einfach in Zürich. «Man war, noch mehr als heute, eine Überraschung für die anderen.»

Ordentliche Medizinprofessorinnen wie Karin Moelling sind an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich auch heute noch die Ausnahme. Warum das so ist, kann die Wissenschaftlerin nicht sagen. Nur so viel: «Nicht jede Frau will ein so wenig familienfreundliches Leben führen wie ich.» Sie ist kinderlos geblieben. Dass sich Familie und Beruf nicht vereinbaren lassen, glaubt sie aber nicht, dafür hat sie in den USA genügend erfolgreiche Beispiele gesehen. «Bei uns», bedauert sie, «gibt es leider immer nur Individuallösungen, jeder muss seinen eigenen Weg finden.» Wie lang ihre Arbeitswochen sind, weiss die Forscherin nicht genau, dafür betreibt sie ihr Metier zu leidenschaftlich. Die Virologie, sagt sie, sei von ungeheurer Relevanz. «Viren geben einen Einblick in die Evolution, sie sind die Präger für jene Gene, die Krebs verursachen. Die Krebsforschung entstand in der Virologie.»

WOLKENKRATZER AUS PAPIER

Karin Moelling weiss, dass sie in einer hoch abstrakten Welt lebt. Inspirationen holt sie sich gerne von ausserhalb. Schaut, wie fachfremde Forschende auf neue Ideen kommen. Oder Künstler. Kürzlich fuhr sie nach Venedig an einen Kongress über Evolution – fachlich gesehen eine unnötige Veranstaltung für eine Virologin. Es wurde einer der inspirierendsten Kongresse, die sie je besucht hat. Und weil sie auch ein Augenmensch ist, ging sie an die Biennale. «Manchmal gucke ich bei einem Kunstwerk nur und denke: Toll! Darauf muss man erst mal kommen.» Ihr selbst bleibt nicht mehr viel Zeit für neue Projekte. In ihrem spartanisch eingerichteten Büro wachsen ihre Papers wie kleine Wolkenkratzer in die Höhe. «Das sind meine Lebensringe», sagt die 64-Jährige. Ende August 2008 läuft ihr Vertrag aus. «Dann ist Schluss, aber wie der gestaltet werden könnte, darüber sollte man noch ein bisschen nachdenken», findet sie. Unsere Lebenserwartung sei heute höher als zu Bismarcks Zeiten, doch die beruflichen Strukturen hätten sich dieser Lebenserwartung noch nicht angepasst. In Deutschland, wo Karin Moelling ebenfalls lehrt, bitte Kanzlerin Merkel heute die Professoren, mit 65 ihre Leitungsfunktionen abzugeben, aber bis 68 noch gute Lehre zu machen oder Projekte zu Ende zu führen. Diese Entwicklung werde in fünf Jahren auch in der Schweiz stattfinden. «Ich bin», lacht sie, «einfach wieder mal ein bisschen zu früh.» Sie hat sich auch schon überlegt, ob man einen Zusammenschluss von pensionierten Forschern machen und gleichzeitig auch für einen Austausch zwischen Alt und Jung sorgen sollte.

AUF STELLENSUCHE WIE EIN POSTDOC

Noch hat sie etliche Projekte am Laufen. Sitzt mitten in einem Klinischen Trial über Krebs, möchte die Arbeit an ihrer molekularen Schere weitertreiben. Dafür bräuchte sie zwei, drei Mitarbeitende. Und ein bisschen Labor müsste auch noch sein. Am liebsten in Zürich. Klar, sie könnte das auch in Berlin tun, wo sie lange am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik gearbeitet hat und heute noch an der Freien Universität lehrt. Aber dort müsste sie alles neu aufbauen. Würde sie im Nachhinein etwas anders machen? Sie denkt lange nach, zitiert dann die berühmte Berliner Altersstudie, wonach der Mensch mit dem Erreichten umso zufriedener sei, je älter er werde. Ihr eigenes Motto: In allen schwierigen Situationen sagen: Schau, was man daraus machen kann, und geh einfach mal nach vorn! «Im Moment», sagt sie und lacht, «fühle ich mich wie ein Postdoc auf Stellensuche.» Zum Schluss führt sie die Besucherin auf das Dach ihres Institutes und zeigt mit leuchtenden Augen auf den See und den Kranz von Schneebergen. Ein wenig Wurzeln scheint die Frau aus dem Norden in Zürich eben doch geschlagen zu haben.