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Bei Gefahr bellen

Erdmännchen überleben unter widrigen Umständen in den Savannen Südafrikas. Ihre Stärke: eine differenzierte Kommunikation. Die Zürcher Zoologin Marta Manser untersucht, wie sich die kleinen Pelztiere verständigen.

Von Roger Nickl

Der Alltag der Erdmännchen ist kein Schleck. Die kleinen, grau-braunen Pelztiere bewohnen die Savannen und Halbwüsten im südlichen Afrika. Dort sind die Lebensumstände hart: die Sonne brennt meist unerbittlich auf den kargen Boden, die Nahrung ist rar, und Feinde sind omnipräsent. Ein Einzeltier hat unter diesen widrigen Umständen keine Überlebenschance. Die Erdmännchen aber haben sich ihrer Umgebung bestens angepasst. Der Grund, weshalb sie unter ständiger Bedrohung trotzdem Bestehen können, ist ihr gut organisiertes Sozialleben. Erdmännchen leben in Familien von bis zu 50 Tieren zusammen und bewohnen gemeinsam einen Bau. «Um in ihrer Umgebung überleben zu können, müssen die Ermännchen enorm effizient sein», sagt Zoologin Marta Manser von der Universität Zürich. Arbeitsteilung wird bei den tagaktiven Raubtieren deshalb gross geschrieben: Damit sich die Familienmitglieder ungefährdet und vor Feinden möglichst geschützt auf die Nahrungssuche konzentrieren können, schiebt jeweils mindestens ein Tier Wache. Andere Gruppenmitglieder wiederum hüten als Babysitter den Nachwuchs, während der Rest der Gruppe loszieht, um in der Erde nach Beute zu wühlen.

WARNRUFE AUS DEM LAUTSPRECHER

Ein wichtiger Faktor im alltäglichen Überlebenskampf der Erdmännchen ist eine gut funktionierende Kommunikation. Das ausserordentlich differenzierte Kommunikationsverhalten der Savannenbewohner hat Marta Manser in zahlreichen Studien nachweisen können. Wie sich Erdmännchen verständigen, untersucht die Zürcher Zoologieprofessorin nun seit über zehn Jahren – anfänglich im Kalahari- Nationalpark, später auf dem rund 40 Quadratkilometer grossen Gelände einer südafrikanischen Farm, das von vierzehn Erdmännchenfamilien bewohnt wird. Am Anfang ihrer Studien tönten die Rufe der Tiere für die Wissenschaftlerin alle ziemlich gleich. «Ich konnte sie kaum auseinanderhalten», sagt Manser. Also begann sie genau zu beobachten, in welchen Situationen die Tiere bestimmte Laute von sich gaben. Gleichzeitig nahm sie die Lautäusserungen auf Band auf. Die Schallsignale analysierte sie anschliessend in einem Spektrogramm. Im Labor wurden Differenzen sichtbar, die das menschliche Ohr nicht mehr wahrnehmen kann. Tierlaute, die die Beobachterin zuvor nicht auseinander halten konnte, bekamen plötzlich eine spezifische Bedeutung. Mit der Zeit identifizierte Marta Manser eine ganze Reihe von Warnrufen. Ob sie die Bedeutung der Rufe richtig erkannte, überprüfte die Forscherin anschliessend im Feld: Sie installierte Lautsprecherboxen in der Nähe einer Erdmännchengruppe, spielte die aufgenommenen Lautsignale ein und beobachtete, ob die Tiere so reagierten, wie sie es erwartete.

So begann Manser allmählich, die «Erdmännchensprache» zu verstehen. Das Fiepsen, Knurren und Bellen der Tiere bekam immer mehr Sinn. Es zeigte sich, dass sich die kleinen Säuger tatsächlich sehr differenziert ausdrücken können. «Mit ihren Rufen können die Tiere nicht nur darauf hinweisen, dass Gefahr im Verzug ist», erklärt Verhaltensbiologin Manser, «sie können den Feind auch indentifizieren und mitteilen, ob er vom Boden oder von der Luft aus angreift.» Ein Erdmännchen-Wächter kann also auf den Hinterbeinen stehend und das Köpfchen weit in die Luft gereckt die Mitglieder seiner Gruppe darüber informieren, ob ein Schakal, eine Schlange oder ein Adler – einer der drei Hauptfeinde – angreift. Aber nicht nur das: Der Wächter kann zudem ausdrücken, wie hoch die Gefahr ist – er kann mitteilen, ob das Bedrohungspotenzial hoch, mittel oder tief ist. Entsprechend reagieren die Futter suchenden Tiere auf das Warnsignal: Bei einem «low urgency call» etwa, einem Ruf also, der ein niedriges Gefahrenpotenzial anzeigt, heben sie nur kurz den Kopf, um den Grund für die Warnungen festzustellen. Danach fahren sie meist mit der Nahrungssuche fort. Ein charakteristisches Bellen des Wächters bedeutet dagegen, dass höchste Gefahr droht. «Mit dem ‹panic-call› meldet das wachhaltende Tier den Angriff eines Raubvogels», erklärt Marta Manser. Der Effekt des Warnsignals: Die Mitglieder der Erdmännchentruppe flüchten flugs in den am nächsten liegenden Eingang zum Bau.

In ihrer bisherigen Forschung zeigte die Zoologin, dass die «Erdmännchensprache» ähnlich wie die menschliche Sprache sowohl Informationen über die Aussenwelt als auch solche über die affektive Einstellung des «Sprechenden» transportieren kann. Mit ihren Warnrufen, heisst das, können die Tiere also Angaben über die Art des Feindes und gleichzeitig die subjektive Einschätzung der Gefahr durch den Wächter an den Rest der Gruppe übermitteln. Manser war die Erste, die eine solche Funktion der «Tiersprache» in der biologischen Verhaltensforschung nachweisen konnte. Und vielleicht stehen die Erkenntnisse über das Kommunikationsverhalten der Erdmännchen erst am Anfang: «Je differenzierter wir beobachten können, in welchen Situationen bestimmte Lautäusserungen eine Rolle spielen, desto mehr vervollständigt sich unser Wissen über die Erdmännchenkommunikation, was allgemeine Rückschlüsse auf die Tierkommunikation und deren Evolution erlaubt», sagt Marta Manser.

SCHWEBENDER SCHAKAL

Ihre Beobachtungen macht die Wissenschaftlerin in der freien Wildbahn. Um das Verhalten der Erdmännchen zu studieren, braucht es nicht nur ein umfassendes biologisches Wissen. Gefragt sind auch forscherische Phantasie und Improvisationstalent. «Wissenschaft hat viel mit Spielereien und Pröbeln zu tun», sagt Marta Manser. Die Vorstellung, man könne eine Studie zuhause am Schreibtisch planen und dann eins zu eins im Feld umsetzen, sei illusionär. Ihr kreatives Potenzial musste die Forscherin etwa ins Spiel bringen, als es darum ging, die Wahrnehmung von spezifischen Feinden zu untersuchen. Erdmännchen verfügen über ein brilliantes Sehvermögen: Feinde können sie auf eine Distanz von bis zu fünf Kilometern erkennen. Manser wollte nun wissen, wie sich die Warnsignale der Erdmännchen beim Auftauchen eines Feindes bei zunehmend geringerer Distanz und somit bei steigender Gefahr verändern. Um dies unter kontrollierten Bedingungen zu untersuchen, hat sich die Forscherin kurzerhand einen ausgestopften Schakal aus dem Museum ausgeliehen. Die Zoologin liess den auf einem Plexiglasschlitten montierten vermeintlichen Räuber immer wieder hinter einem Busch hervorgleiten – die Warnrufe des Erdmännchenwächters liessen nicht auf sich warten. Auch einen Angriff aus der Luft hat die Forscherin simuliert. Sie liess deshalb zwei ferngesteuerte Spielzeugflugzeuge über eine Erdmännchenkolonie fliegen – eines mit dem handelsüblichen rot-grünen Anstrich, das andere als Kampfadler getarnt. «Die Tiere zeigten ganz klar verschiedene Reaktionen. Anfänglich rannten sie bei beiden Objekten zum nächsten Schutzloch, aber beim rot-grünen Flugzeug begannen sie innerhalb weniger Sekunden wieder mit der Nahrungssuche, während sie beim vermeintlichen Kampfadler bis zu einer Viertelstunde den sicheren Ort neben dem Schutzloch nicht verliessen», erzählt Marta Manser, «die Tiere verfügen offensichtlich über eine sehr gute Unterscheidungsfähigkeit.»

Können Erdmännchen nun aber tatsächlich Schakal und Adler auseinander halten? Oder unterscheiden sie nur zwischen Feinden, die vom Boden beziehungsweise aus der Luft kommen? Auch dies wollte die Verhaltensbiologin wissen. Sie hängte den ausgestopften Schakal deshalb kurzerhand an einen Heliumballon und liess ihn über eine Gruppe von Erdmännchen schweben. Die Reaktion, die der fliegende Schakal bei den Steppenbewohnern auslöste, war aber zu diffus, als dass sich daraus eine wissenschaftliche Aussage ableiten liesse. «Letztlich war es ein Versuch, der wissenschaftlich wenig sinnvoll ist», sagt Marta Manser, «aber das wird einem manchmal erst bei der Beobachtung bewusst.»

VERWANDTE ARTEN VERGLEICHEN

Künftig möchte die Zoologin noch mehr darüber erfahren, welchen Einfluss die Umweltbedingungen und die sozialen Interaktionen der Gruppe auf das Kommunikationsverhalten haben. Sie will deshalb vermehrt das Verhalten der Erdmännchen mit demjenigen verwandter Arten vergleichen, etwa mit jenem der sozial flexiblen, alleine oder in Gruppen lebenden Fuchsmangusten oder der Zebramangusten, deren Clans eine komplexere soziale Struktur aufweisen und die in einer weniger feindlichen Umgebung als die Erdmännchen leben. Noch steht dieser Vergleich aber ganz am Anfang. «Zuerst mussten wir die Tiere, mit denen wir arbeiten, an uns gewöhnen», berichtet Manser, «jetzt kann es eigentlich erst richtig losgehen.» Ob das begonnene Projekt letztendlich Früchte tragen wird, ist allerdings nicht nur eine Frage des Forschergeistes, sondern auch eine des Geldes. Marta Manser betreibt reine Grundlagenforschung, und diese steht vor allem in Zeiten des Sparens unter einem erhöhten Legitimationsdruck. Die vom Nationalfonds finanzierte Förderprofessur der Zoologin läuft jetzt noch ein Jahr. Was danach geschieht, wird sich weisen.