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Gefühle lesen

Oxytocin ist zu einem kleinen Star in der Verhaltensforschung geworden. Das Hormon belebt unsere Beziehungen. In Zukunft könnte es Therapien von Menschen unterstützen, die mit sozialen Kontakten grosse Mühe haben.

Von Roger Nickl

Geht es um unser Beziehungsleben, scheint Oxytocin omnipotent zu sein. Das Hormon hilft uns, soziale Nähe aufzubauen, es bindet Partner aneinander, und es schärft unsere Sinne für die Gemütslagen unseres Gegenübers. Noch vor zehn Jahren sprach in der Forschung niemand von dem Neuropeptid, das im Hinterlappen der Hypophyse, der haselnussgrossen Hirnanhangdrüse, die etwa auf Nasenhöhe mitten in unserem Kopf sitzt, gebildet und ausgeschieden wird. Das hat sich geändert – das Sozialhormon ist zu einem kleinen Star in der Verhaltensforschung geworden. Dazu beigetragen hat eine Studie, die der Psychologe Markus Heinrichs gemeinsam mit den Ökonomen Ernst Fehr und Michael Kosfeld in der Wissenschaftszeitschrift «Nature» veröffentlicht hat. In einem ökonomischen Spielexperiment konnten die Forscher der Universität Zürich zeigen, dass eine höhere Oxytocinverfügbarkeit im Gehirn das Vertrauen in einen fremden Spielpartner wesentlich erhöht (siehe Seite 33).

Testpersonen, die unter dem Einfluss des Hormons standen, gingen viel eher Risiken ein. Sie waren schneller bereit, einem Geschäftspartner Geld anzuvertrauen, ohne darauf zählen zu können, dass dieser den Gewinn letztendlich mit ihm teilen wird. Interessanterweise erhöht mehr Oxytocin jedoch nicht die allgemeine Risikobereitschaft, wie ein Kontrollexperiment zeigte, in dem der Mitspieler durch ein Computerprogramm ersetzt wurde. Die Studie sorgte für internationales Aufsehen. Sie hatte zur Folge, dass sich immer mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit den Fähigkeiten des Hormons beschäftigen. «Inzwischen gibt es weltweit mehrere Arbeitsgruppen, die sich mit dem Einfluss von Oxytocin auf unser Sozialverhalten auseinandersetzen», sagt Heinrichs.

Die Vertrauensstudie von Heinrichs, Fehr und Kosfeld war der erste grosse Erfolg des Universitären Forschungsschwerpunktes «Grundlagen des menschlichen Sozialverhaltens: Altruismus und Egoismus». Markus Heinrichs leitet hier das Teilprojekt «Psychobiologie des menschlichen Altruismus». In der Hormonforschung kann der Psychologe auf langjährige Erfahrung zurückgreifen.

FREMDE GEFÜHLSWELTEN

Nachdem vor rund zehn Jahren amerikanische Tierforscher an Präriewühlmäusen den Einfluss des Hormons auf das Sozialverhalten belegen konnten, war Heinrichs weltweit einer der ersten, der die Verhaltenswirkung von Oxytocin in Studien am Menschen untersuchte und die Resultate aus der Tierforschung bestätigen konnte. In diversen Experimenten zeigte er, dass das Neuropeptid nicht wie bekannt nur für das Auslösen der Geburtswehen und das Einschiessen der Milch in der Mutterbrust zuständig ist, sondern auch unser Beziehungsleben belebt. «Oxytocin hat eine zentrale Bedeutung für alle Formen positiver sozialer Interaktion», sagt Heinrichs. Den Psychologen interessiert nicht nur die Grundlagenforschung in diesem Bereich. Er hat immer auch die Praxis im Blick. Seine Überlegung: Macht uns das Hormon tatsächlich beziehungsfähiger, gehen wir unter dem Einfluss von Oxytocin schneller auf unsere Mitmenschen zu, könnte es auch die Therapie von Patienten unterstützen, die an und in Beziehungen leiden. Dass Oxytocin unser Einfühlungsvermögen in andere Menschen verbessert, konnte Markus Heinrichs gemeinsam mit Kollegen der Universität Rostock auch in einer Studie belegen, die demnächst in der Zeitschrift «Biological Psychiatry» erscheinen wird.

Geht es darum, die Gefühlslage unserer Mitmenschen einzuschätzen, genügt uns oft ein Blick. Der Ausdruck der Augen sagt uns, ob ein Gegenüber zufrieden oder traurig, aggressiv oder entspannt ist. Die Forscher konnten nun zeigen, dass das Hormon Oxytocin diese Wahrnehmung weiter schärft. Grundlage für die Untersuchung war ein Test, den englische Wissenschaftler zur Abklärung des Asperger- Syndroms, einer relativ leichten Form von Autismus, entwickelt haben. Im so genannten «Reading-the-mind-in-the-eyes»-Test (RMET) werden auf einem Computerbildschirm ganze Serien von Augenpaaren, die unterschiedliche emotionale Zustände darstellen, gezeigt. Bei jedem Bild soll die Testperson unter vier möglichen Begriffen den richtigen auswählen.

Drücken die Augen Glück, Trauer, Ekel, Angst aus? Der richtige Entscheid fällt uns in der Regel leicht – die Trefferquote liegt bei einfachen Beispielen, bei denen die zur Wahl stehenden Gefühle klar erkennbar sind, bei 98 Prozent. Für Patienten, die am Asperger-Syndrom leiden, ist die korrekte Wahl weit schwieriger. Sie sind stark auf sich selbst bezogen, haben grosse Mühe mit sozialen Kontakten und leben weitgehend in ihrer eigenen Welt. Entsprechend schwer ist es für sie, sich in die Gefühlswelt eines anderen zu versetzen. «Asperger- Patienten haben grosse Mühe, den emotionalen Ausdruck von Augenpartien abzulesen», sagt Markus Heinrichs. Der hochstandardisierte RMET-Test kann deshalb sehr genau Auskunft darüber geben, wie stark eine autistische Störung ist.

An der Doppelblindstudie nahmen 30 gesunde Männer zwischen 21 und 30 Jahren teil. Bevor die Testpersonen eine Serie von 36 Bildern mit unterschiedlichen Augenpartien vorgeführt bekamen, schnupften sie eine vorgegebene Dosis eines Oxytocin-Nasensprays oder eines Placebos – eines identischen Nasensprays also, dem jedoch kein Oxytocin beigemischt wurde. Danach mussten sie bestimmen, welche Gefühlszustände die auf dem Bildschirm gezeigten Augenpaare repräsentierten. Die Forscher unterschieden dabei eindeutige, einfach zu lesende und schwierig zu deutende Augenpartien. «Geht es um das Bestimmen solcher ‹difficult items›, liegt die Trefferquote etwa beim Münzwurf», sagt Heinrichs, «auch gesunde Männer können nur rund 50 Prozent der gezeigten Augenpartien dem richtigen Gefühlszustand zuordnen.»

VERTRAUEN SCHENKEN

Nachdem der Test nach einer Woche wiederholt wurde und so jeder der 30 Männer einmal Oxytocin und einmal das Placebo bekam, stand das Resultat fest: Es zeigte sich, dass sich das Hormon gerade auf das Bestimmen von schwierig zu lesenden Augenpaaren positiv auswirkte. Im Vergleich zum Placebo stieg die Trefferquote unter Oxytocin-Einfluss bei 20 der 30 Testpersonen signifikant an. «Es scheint also tatsächlich so zu sein, dass uns Oxytocin im Lesen von Gefühlen präziser und kompetenter macht», schlussfolgert Hormonforscher Heinrichs, «das gilt für positive Gefühle genauso wie für negative. » In einem nächsten Schritt wollen die Forscher den Test nun mit Autismus-Patienten durchführen. Die Fragen, die sich dabei stellen: Können sie vom Oxytocin profitieren? Und wenn ja: Könnte man Verhaltenstherapien mit Oxytocin unterstützen und so den Therapieeffekt verstärken?

Mit der aktuellen Studie fügt Heinrichs dem Wissen um die Wirkung des Neuropeptides einen weiteren Puzzlestein hinzu. Weitere Untersuchungen laufen bereits: Nach den ermutigenden Resultaten der «Nature»-Publikation soll auch die Vetrauensstudie weitergeführt werden. Der Forscher und sein Team möchten mehr darüber erfahren, in welchen Hirnregionen Oxytocin bei prosozialem Verhalten wirkt. In einem nächsten Schritt wollen sie deshalb das Vertrauensexperiment wiederholen. Im Unterschied zur ersten Studie wollen die Wissenschaftler aber mit Hilfe von bildgebenden Verfahren untersuchen, was sich im Gehirn der Versuchspersonen abspielt, wenn sie jemandem Vertrauen schenken oder eben nicht. Ihre Hoffnung: mehr über die hormonellen Steuerungsprozesse im Hirn zu erfahren.

Auf Grund der Vertrauensstudie wissen die Forscher bereits genau, welche Gehirnregionen sie im Auge behalten müssen. «Die Amygdala, der Mandelkern, hat wichtige Rezeptorstrukturen für Oxytocin», sagt Markus Heinrichs, «hier können wir beispielsweise Angstreaktionen mittels Oxytocin wirksam reduzieren.» Ein weiteres Hirnareal, das mit positivem Sozialverhalten in Verbindung steht, ist das so genannte Belohnungszentrum, der Nucleus accumbens. «Positives soziales Verhalten löst Befriedigung aus», erklärt der Hormonforscher, «Oxytocin scheint hier dafür zu sorgen, dass wir dieses befriedigende Gefühl auch tatsächlich empfinden. » Noch steht diese Untersuchung am Anfang. Ein nächster möglicher Schritt zeichnet sich jedoch bereits ab: Für Heinrichs wäre es interessant, dasselbe Experiment später auch mit Patienten durchzuführen, die an Autismus, sozialer Phobie und anderen Angststörungen leiden. Die Frage, die sich hier stellt: Wo kann man bei ihnen nach der Verabreichung von Oxytocin Hirnaktivitäten feststellen und wo sind allenfalls mangelhafte Reaktionen auszumachen? «Möglicherweise ist es sinnvoll, die Rezeptoren zu stimulieren, wenn das Gehirn zu wenig Oxytocin herstellt», meint der Psychologe. Denn noch gibt es beispielsweise keine wirksamen Therapien gegen ein in jungen Jahren diagnostiziertes Asperger-Syndrom. Vielleicht, so die Hoffnung, könnten die gezielte Gabe von Oxytocin oder intensive Körperkontakte – die erwiesenermassen das Ausschütten fördern – dem Gehirn von Kindern mit Asperger-Syndrom neue Impulse geben und das Sozialverhalten positiv beeinflussen. Bereits Einzug gehalten hat Oxytocin in die Verhaltenstherapie bei Patienten mit sozialer Phobie – Menschen also, für die soziale Kontakte eine dauernde Quelle von Angst und Schrecken sind. Im Rahmen eines laufenden Nationalfondsprojekts erhalten die Patienten vor einer Gruppensitzung per Nasenspray Oxytocin oder Placebo. Nach Spraygabe und einer halbstündigen Entspannungsübung geht es dann los – in Rollenspielen müssen sie ihr Verhalten üben und reflektieren. Ziel der Therapie ist es, Ängste nicht zu vermeiden und den Verhaltensspielraum der Betroffenen zu erweitern. «Letztlich geht es darum, vermeintlich angstauslösende soziale Situationen in einem anderen Kontext zu sehen», sagt Markus Heinrichs.

Erste Erfahrungen haben gezeigt, dass Oxytocin sich positiv auf die Therapie auswirkt. «Die starken körperlichen Symptome der Patienten – Erröten, Schwitzen, schnelle Atmung, erhöhte Herzfrequenz – sind reduziert», erklärt Hormonexperte Heinrichs, «und die Angst wird deutlich schwächer erlebt.» Ob dieser positive Effekt nur kurzfristig ist oder ob Oxytocin auch einen langfristigen therapeutischen Wert hat, gilt es aber noch abzuklären. Schlussendlich wird dies die entscheidende Frage sein, die über die Brauchbarkeit des neuen Verfahrens für die Klinik entscheidet. «Angesichts des vergleichsweise geringen Erfolgs herkömmlicher Therapien von nur knapp über 60 Prozent bei sozialer Phobie sind die Erwartungen an eine Kombination von bewährten verhaltenstherapeutischen Verfahren mit der Gabe von Oxytocin hoch», ist Markus Heinrichs überzeugt, «zumal das Hormon eine körpereigene Substanz ist und in den von uns verabreichten Mengen keine Nebenwirkungen zeigt.»