News175 Jahre UZHAgendaVeranstaltungenFakultätstageAusstellungenBlog

jubiläumstram

Die Gesetze des Spektakels

Einst orientierte sich die Presse an den politischen Parteien. Heute ist es umgekehrt: Die Parteien stellen sich auf die Logik der Massenmedien ein. Ein Forscherteam am IPMZ analysierte diesen Wandel.

Von David Werner

Die einen verteilen Zahnbürsten, Duschgels oder Energy-Drinks. Andere lassen als Maskottchen den Geissbock aus dem Stall eines Nationalrates über die Polit-Bühnen zotteln. Die Qualität der Marketing-Gags, mit denen Parteien auf Stimmenfang gehen, schwankt. Darauf aber, dass Stilmittel in der medialen Öffentlichkeit breit diskutiert werden, ist Verlass. Wahlkampf, man weiss es, ist Showtime.

Neu ist, dass die Gesetze des Spektakels nicht mehr nur zu Wahlkampfzeiten gelten, sondern auch das politische Alltagsgeschäft durchdringen. Um Medienpräsenz wird heute ununterbrochen gerungen. Viel stärker als noch vor zwanzig Jahren sind die Parteien auf Massenmedien angewiesen. Die wichtigsten Gründe dafür sind schnell genannt: Zunächst ist da die Auflösung der traditionellen Milieus, in denen die Parteien früher verankert waren. Die Stammwählerschaften schwinden, die Mitgliederzahlen schrumpfen – also muss geworben werden, am besten ständig. Die Selbstverständlichkeit, mit der das Parteiengefüge einst die Gesellschaftsstruktur spiegelte, ist dahin. Um sich voneinander zu unterscheiden, brauchen Parteien nun ein Image und ein Profil. Und wie entfalten Images und Profile ihre Wirkung? Nur über Medien. Diese aber wandelten sich in den letzten zwei Dekaden ebenfalls. Medienmärkte wurden liberalisiert, kommerzielle Sender veränderten den Charakter des Fernsehens, Parteipräferenzen in den Zeitungsredaktionen wurden gelockert, die eigentliche Parteipresse verschwand fast ganz. Für die Parteien bedeutete dies einen Kontrollverlust. Die Gewichte verschoben sich zu ihren Ungunsten. Die Medien emanzipierten sich von politischen Strukturen, und den Parteien blieb nichts anders übrig, als sich Medienkompetenz anzueignen und sich aktiv um ihr mediales Erscheinungsbild zu kümmern. Im Wettstreit untereinander, aber auch in wachsender Konkurrenz zu anderen Organisationen und Interessengruppen kämpfen die Parteien nun um Aufmerksamkeit. Die Konkurrenz zwingt sie, immer lauter, immer bunter zu werden. Verlautbarungen, Absichtserklärungen und Pressekonferenzen – damit ist es nicht mehr getan. Massenmedien berichten vorzugsweise über Ereignisse, also müssen Ereignisse inszeniert werden. Massenmedien berichten emotionalisierend und personalisierend, also gilt es, Emotionen zu schüren und Persönlichkeiten zu portieren. Geschichten und Schlagzeilen müssen den Redaktionen ins Haus geliefert werden – am besten gleich mit passenden Bildern.

STILLE REVOLUTION

Wie schultern Parteien diese neuen Aufgaben? Welche Strategien verfolgen sie, welche Prioritäten setzen sie, welchen Vorbildern eifern sie nach? Wie verändert sich im Zuge der Medialisierung die innere Struktur von Parteien? Und welche Entwicklung nimmt bei alledem die Demokratie? Otfried Jarren, Patrick Donges und Martina Vogel vom Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung gingen diesen Fragen in einem Forschungsprojekt im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunktes «Herausforderungen der Demokratie im 21. Jahrhundert» nach. Gegenstand ihrer Studie waren die grossen Volksparteien in Deutschland, Grossbritannien, Österreich und der Schweiz. Das Forschungsteam analysierte Dokumente wie Geschäftsberichte, Jahrbücher und Organigramme und führte Interviews mit den Organisations- und Kommunikationsverantwortlichen der betreffenden Parteien. Was sie dabei feststellten, war dies: Im inneren Aufbau der untersuchten Parteiorganisationen hat sich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren eine stille Revolution vollzogen. Die Organigramme wurden komplett umgebaut. «Kommunikation – interne wie externe – ist nirgendwo mehr ein Anhängsel der ‹eigentlichen› Politik, überall ist sie zu einem zentralen Bestandteil geworden», sagt Donges. Personell und finanziell wurden die Kommunikationsabteilungen massiv ausgebaut, in der Hierarchie rückten sie nahe an die Spitze. Einige der untersuchten Parteien – so die Konservativen in Grossbritannien und die vier Schweizer Bundesratsparteien – schufen die entsprechenden Strukturen praktisch aus dem Nichts. Das Organigramm der SP Schweiz etwa wies Anfang der neunziger Jahre noch keine einzige Stelle für Kommunikation und Medienauskünfte aus. Einer der Zentralsekretäre erledigte solche Aufgaben nebenbei. Heute bildet die Abteilung «Kampagnen und Kommunikation » eine von zwei grossen Organisationseinheiten der SP, sie tritt praktisch gleichwertig neben die Abteilung «Politik».

Der Aufbau solcher Kommunikationsstellen löst einige Probleme, verursacht aber auch neue. Ein grosses Problem für weit verzweigte Organisationen, wie es Parteien sind, ist die Beschleunigung der Kommunikationsabläufe durch die elektronischen Medien. Die Massenmedien drücken aufs Tempo, die Parteien hecheln hinterher. Der ständige Zeitdruck bringt Unordnung in die Entscheidungsfindungsprozesse. Bevor die verschiedenen Meinungsträger innerhalb der Partei Gelegenheit gefunden haben, sich zu verständigen, haben die Medien mögliche Konfliktthemen bereits geortet. Interna finden ihren Weg in die Öffentlichkeit immer schneller, Stellungnahmen einzelner Exponenten schaffen zur Unzeit vollendete Tatsachen. Die logische Antwort auf diesen Notstand ist die Verkürzung der innerparteilichen Entscheidungswege sowie die Koordination interner und externer Kommunikation durch ein professionelles Management. Daraus ergibt sich jedoch eine Tendenz zur Zentralisierung und Hierarchisierung der Organisationsstrukturen, die sich mit Parteitraditionen, wie sie insbesondere in der Schweiz bestehen, nicht verträgt. «Im Bemühen, den Anforderungen der medialisierten Öffentlichkeit gerecht zu werden, handeln sich die Parteien ein Dilemma ein», sagt Patrick Donges. «Einerseits sind sie bestrebt, gegenüber den Medien einheitlich oder geschlossen aufzutreten, andererseits möchten sie die föderale Vielfalt und die Verankerung der Parteiorganisation vor Ort nicht preisgeben. Beides lässt sich mitunter nur schwer unter einen Hut bringen.»

SIGNALE AN DIE BASIS

Neben der Beschleunigung ist die wachsende Zahl der Medienkanäle ein Hauptgrund für den steigenden Kommunikationsaufwand der Parteien. SMS, Mailings, Podcasts ersetzen die alten Medien nicht etwa, sondern kommen zum Repertoire hinzu. Wer glaubt, zugunsten einer Innovation auf eines der traditionellen Medien verzichten zu können, wird schnell eines Besseren belehrt. Der Kommunikationsverantwortliche der SPÖ beispielsweise liebäugelte einmal mit dem Gedanken, die Wahlplakate abzuschaffen, da er sie für wenig informativ, unzeitgemäss, teuer und hässlich hielt. Es blieb beim blossen Gedanken. Die Genossen an der Basis hätten den Plan als Affront verstanden. Ein Plakatierungsverzicht hätte den Eindruck erweckt, die Zentrale verschlafe den Wahlkampf und lasse das Parteivolk im Stich. Das Prinzip Legitimität – auch das veranschaulicht diese Anekdote – hat in Parteiorganisationen Vorrang vor der Effizienz. Das will heissen: Der Hauptzweck der Kommunikation besteht für die Parteiführung nicht darin, möglichst grosse öffentliche Resonanz zu erzielen, sondern der eigenen Parteibasis gegenüber Rechenschaft darüber abzulegen, dass sie ihre Arbeit macht. «Deshalb vor allem», sagt Patrick Donges, «werden Plakatwände beklebt, und deshalb wird in teure Online-Auftritte investiert. Jeder Kommunikationsstratege weiss, dass via Internet kaum zusätzliche Wählerstimmen gewonnen werden; eine attraktive Website signalisiert der Basis jedoch, dass die Zentrale präsent und auf der Höhe der Zeit ist.»

TROMMELN AUF ALLEN KANÄLEN

Es ist das Buschtrommelprinzip, das hier auf allen medientechnologischen Niveaus entfaltet wird. Schweigen würde Untätigkeit bedeuten, also muss getrommelt werden, und zwar auf allen Kanälen. Zugleich setzen begrenzte Ressourcen den Parteiverantwortlichen immer auch Grenzen, die dazu zwingen, Akzente zu setzen. Da Effizienz in Kommunikationsfragen nicht das Hauptkriterium ist – und sich im Übrigen die Effizienz einzelner Massnahmen auch kaum messen lässt –, tendieren die Parteien dazu, sich bei der Wahl ihrer Marketingstrategien Modetrends anzuschliessen. Was andere tun, wird wohl seine guten Gründe haben – so lautet eine verbreitete Annahme. Diese Rationalitätsfiktion führt dazu, dass alle Parteien ähnliche Wege beschreiten. Besonders grosse Wirkung entfaltete dabei in den letzten Jahren das Vorbild so genannter «single issue groups» wie Bürgerinitiativen, NGO oder Interessenverbände. Sie sind für den Wettbewerb um mediale Aufmerksamkeit in vielerlei Hinsicht besser gerüstet als die grossen, heterogen zusammengesetzten Parteien mit ihren breitgefächerten Themenrepertoires. Eine Greenpeace- Aktion entfaltet mehr Dramatik als eine Parteidelegiertenversammlung. Economiesuisse vertritt eine klarer definierte Klientel als eine Volkspartei. Der Bund der Steuerzahler kann seine Interessen eindeutiger formulieren, als dies in einem Parteiprogramm je möglich wäre. Ein-Themen-Organisationen werden punktuell und aus gegebenem Anlass heraus aktiv, verfolgen konkrete, leicht vermittelbare Anliegen und sind daher wie geschaffen dafür, sich in den Massenmedien in Szene zu setzen. Grosse Volksparteien sind ganz anders strukturiert, versuchen aber dennoch immer öfter, die Erfolgsstrategien der single issue groups zu kopieren. Sie starten Unterschriftenaktionen, lancieren Kampagnen und suchen gezielt nach publizitätsträchtigen Einzelthemen, die sich mit grösstmöglichem Effekt bewirtschaften lassen.

Dies hat Folgen, besonders auch für das auf Konkordanz getrimmte Politsystem der Schweiz. Hier kam es zu einer deutlichen Polarisierung der politischen Kräfte. «Parteien», sagt Donges, «erfüllten in demokratischen Staaten bisher immer zwei sehr unterschiedliche Aufgaben gleichzeitig: Auf der Vorderbühne des Politbetriebes fungierten sie als Sprachrohr politischer Anliegen. Auf der Hinterbühne schmiedeten sie Allianzen und Kompromisse, holten Expertisen ein und arbeiten Lösungsvorschläge aus.» Dieser zweite Aufgabenbereich, kurz als Interessenaggregation bezeichnet, wird heute zugunsten der Interessenartikulation vernachlässigt. Parteien funktionieren immer mehr wie grosse Kommunikationsagenturen, die von Fall zu Fall agieren. Ihre politische Integrationskraft nimmt dabei ab, ihre Fähigkeit und Bereitschaft, disparate Kräfte zusammenzuführen, verschiedene Interessenlagen zu vereinbaren und so auf längere Sicht zwischen Staat und Gesellschaft zu vermitteln, schwindet. «Das Gedränge auf der Vorderbühne nimmt zu, während die Hinterbühne sich langsam leert», stellt Donges fest. Die Rolle der Parteien im politischen Gefüge hat sich in den letzten zwei Dekaden tiefgreifend verändert. Die Notwendigkeit, sich auf die Medialisierung der Gesellschaft einzustellen, war für diesen Wandel entscheidend.