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«Meistens sinds Ausländer»

Offene Fragen der Einwanderungspolitik und der Einbürgerungspraxis polarisieren die Schweizer Öffentlichkeit. Genau diese Konstellation macht das Thema «Ausländer» für die Massenmedien so attraktiv.

Von David Werner

Im letzten Dezember rechnete die Zeitung «Blick» nach, wie viele Finalisten der dritten Music-Star-Staffel des Schweizer Fernsehens sich auf ausländische Wurzeln berufen konnten. Das Ergebnis: acht von zwölf. Der Redaktion war das eine Titelstory wert: «Secondos singen sich in die erste Reihe», hiess es da, «Bühne frei für die United Colors of Switzerland!» Der frohlockende Tonfall signalisierte, wie die Geschichte zu deuten sei: Als ein offenbar nicht selbstverständlicher, dafür aber umso sympathischerer Fall gelungener Ausländer-Integration, vergleichbar dem viel zitierten Beispiel der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft, die auch bei dieser Gelegenheit wieder einmal als Referenz in Multikulti-Fragen herhalten musste: In einer Sideline wurde der geneigten Leserschaft zur Kenntnis gebracht, dass Köbi Kuhn ohne seine Secondos auf «verlorenem Posten» stünde. Drei Seiten weiter berichtete die Zeitung über Gewalt unter Jugendlichen. In fetten Lettern wurde ein Teenager mit den Worten zitiert: «Meistens sinds Ausländer».

Der «Blick», dies sei der Fairness halber gesagt, bemüht sich seit Jahren, Boulevard ohne chauvinistische Attitüde zu machen. Er nimmt dafür sogar Auflageeinbussen in Kauf. Was das genannte Beispiel jedoch illustriert: Ungeachtet aller selbstauferlegten politischen Korrektheit bleibt das Thema nationale Herkunft ein Dauerbrenner. In allen nur denkbaren Zusammenhängen. Egal, ob unter positiven oder negativen Vorzeichen, und nicht nur im «Blick». Beliebige Vorfälle erhalten Brisanz, wenn der Migrationshintergrund der Beteiligten in den Fokus gerät. Verursacht ein Raser einen Unfall, dann wirds vermeldet. Verursacht ein Raser mit balkanischen Wurzeln diesen Unfall, steigt der Nachrichtenwert augenblicklich, denn die Meldung erhält über das Einzelereignis hinaus Brisanz: Unwillkürlich kommt die Frage nach der Integrationsfähigkeit von Migranten ins Spiel. Diese Frage bedarf keiner umständlichen Herleitung oder Rechtfertigung, sie braucht nicht einmal explizit ausformuliert zu werden. Sie stellt sich wie von selbst. Immer und immer wieder. Sie schwebt, wie man zu sagen pflegt, «im Raum».

Warum das so ist? Wegen der latenten Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit eines Teils der Schweizerinnen und Schweizer, werden die einen sagen. Die anderen werden sagen: weil zumindest ein Teil der Migranten tatsächlich nicht integrationsfähig ist – und die Schweiz eine zu lasche Ausländerpolitik betreibt. Die jeweilige Antwort hängt ganz von der politischen Couleur ab, oder vielmehr noch: sie lässt erkennen, welcher politischen Couleur jemand zuneigt. An der Ausländerpolitik scheiden sich die Geister – und zwar deutlicher als in den meisten anderen Bereichen. Seit etwa zwei Jahrzehnten überstrahlt die Kontroverse um die richtige Migrations- und Integrationspolitik viele andere gesellschaftspolitische Differenzen. Die Einstellung gegenüber Einwanderern ist zu einem wichtigen politischen und gesellschaftlichen Distinktionsmerkmal geworden. Die Migranten selbst, ihre Probleme und ihre Sicht der Dinge spielen bei alledem nur eine nebengeordnete Rolle.

GESELLSCHAFTLICHE FUNDAMENTALKONFLIKTE

Wie Patrik Ettinger und Linards Udris vom Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich (fög) erklären, entfalten dominante und entsprechend stark polarisierende innergesellschaftliche Kontroversen, so genannte «Fundamentalkonflikte», oft eine kaum zu bremsende Eigendynamik. Sie absorbieren Aufmerksamkeit und kanalisieren damit die öffentliche Kommunikation. Jede Aktion im Bannkreis eines solchen Konfliktes zieht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Reaktion nach sich. Was auch immer im Rahmen solcher Kampfszenarien geschieht, gewinnt Ereignischarakter, was auch immer dazu gesagt wird, erhält besonderes Gewicht, es wird – wie Ettinger und Udris es formulieren – «semantisch geladen». Kein Wunder also, ist für Massenmedien oder populistische Politiker aller Lager die Versuchung gross, in allen möglichen Zusammenhängen Migrations- und Integrationsfragen ins Spiel zu bringen: Aufmerksamkeit, der «Treibstoff» moderner Informationsgesellschaften, ist ihnen auf diese Weise gewiss. Dass solche Fundamentalkonflikte der Qualität öffentlicher Auseinandersetzungen nicht zuträglich sind, liegt auf der Hand: Komplexe Sachverhalte werden ins binäre Schema von Entweder-oder-Konstellationen gezwängt und damit simplifiziert, Meinungsverschiedenheiten werden zu unüberwindbaren Gegensätzen hochstilisiert. Kompromisse kommen in einem solchen Umfeld nur schwer zustande, sachbezogenen Lösungsansätzen droht die Instrumentalisierung durch strategische Erwägungen. «Konfliktbewirtschaftung» nennt sich das im Polit- und Medien-Jargon. Viele drängende Probleme geraten durch diese auf sich selbst bezogene Streitlogik völlig aus dem Blickfeld. So war die Frage, wie Migranten besser in die Gesellschaft integriert werden könnten, lange Zeit ein blinder Fleck in einwanderungspolitischen Kontroversen. Die Linke träumte von einem multikulturellen Nebeneinander verschiedenster gleichrangiger Minderheiten. Integrationsfragen kamen in diesem gegen die «Bünzli-Schweiz» gerichteten Szenario nicht vor. Die nationalkonservative Rechte forderte – in Opposition zu den «Linken und Netten» – statt Integration die Ausgrenzung aller nicht assimilierten Bevölkerungsteile. Für den Neoliberalismus wiederum war Integration eine Angelegenheit von Einzelpersonen und weniger eine gesellschaftliche Aufgabe.

So weit, so schlecht. Fundamentalkonflikte «leisten» aber auch etwas, wie Patrik Ettinger betont: Konflikte kanalisieren die Kommunikation, sie ziehen Aufmerksamkeit auf sich und bieten Orientierung. Und nach Orientierung lechzen hyperkomplexe moderne Gesellschaften, insbesondere in Phasen allgemeiner Verunsicherung. «Die Schweizer Gesellschaft ist seit Anfang der neunziger Jahre sehr verunsichert », sagt Linards Udris. «Der Fall des eisernen Vorhangs, das zunehmende Gewicht der EU und die Globalisierung der Wirtschaft stürzten sie in eine Identitätskrise, aus der sie nur langsam herausfindet.» Die Schweiz muss sich innerhalb des veränderten internationalen Koordinatensystems neu verorten, muss das Verhältnis von «innen» und «aussen» neu justieren. Was soll geändert werden, was soll bleiben, wie es ist? Wie und in welchem Mass soll sich die Schweiz äusseren Einflüssen öffnen? Ein neues Selbstverständnis zu entwickeln bedeutet immer auch zu klären, wie man sich zum Fremden verhält. Und da das Neue, Ungewisse, Fremde dort am greifbarsten wird, wo es in Gestalt von Menschen in Erscheinung tritt, denen man auf der Strasse begegnen kann, wird die Migrationspolitik zum Kristallisationspunkt für viele Fragen, welche die eigene Identität betreffen.

So sind beispielsweise die Einbürgerungsnormen in der Schweiz immer wieder Gegenstand des politischen Seilziehens, und eine Einigung scheint nicht in Sicht. In jüngerer Zeit dreht sich die Auseinandersetzung vor allem um einen Bundesgerichtsentscheid von 2003, welcher Urnenabstimmungen über Einbürgerungsgesuche für verfassungswidrig erklärt und damit faktisch verbietet. Die Verfechter dieses Verbotes argumentieren, dass es bei geheimen Volksabstimmungen keine Begründungspflicht für Negativ-Entscheide gebe, was der willkürlichen Behandlung von Antragsstellern Tür und Tore öffne. Die Gegner des Bundesgerichtsentscheids pochen auf das Recht der Bürgerinnen und Bürger, selbst darüber zu befinden, wen sie in ihre Reihen aufnehmen wollen und wen nicht. Sie sind auch die vehementesten Befürworter des Subsidiaritätsprinzips, dem die Schweiz bei der Erteilung des Bürgerrechts trotz einiger Bestrebungen zur Homogenisierung nach wie vor folgt: Einbürgerungsprozesse sind noch immer vorwiegend eine kommunale Angelegenheit. Jede der 2815 Gemeinden legt dabei die Mindestvorschriften des Bundes wieder anders aus. Entsprechend unterschiedlich ist von Ort zu Ort die Quote abgelehnter Einbürgerungsgesuche.

DIE IDEOLOGIE DES «SCHWEIZERMACHENS»

Eine jüngst am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich durchgeführte Untersuchung zeigt auf, von welchen Faktoren diese Quote abhängt: einerseits von den Einbürgerungsmodalitäten in der jeweiligen Gemeinde (direktdemokratische Verfahren haben meist mehr ablehnende Entscheide zur Folge als Administrativakte); andererseits aber auch von den jeweils vorherrschenden Vorstellungen darüber, was das Schweizersein ausmacht. «Gemeinden, in denen ein restriktives Staatsbürgerverständnis besonders verbreitet ist oder wo Politiker dominieren, die sich stark über die Ausländer-Thematik profilieren, sind in der Erteilung des Bürgerrechts am zurückhaltendsten », sagt Marc Helbling, der Verfasser der Studie. Das Ergebnis überrascht nicht. Es beweist aber, dass ideologische Grundüberzeugungen immer wieder in den konkreten Prozess des «Schweizermachens» hineinspielen. Das Nachsehen haben die betroffenen Einzelpersonen.

In der Auseinandersetzungen rund um die Einbürgerungspolitik, das bestätigt indirekt Helblings Untersuchung, stehen sich zwei Lager gegenüber: Identitätsbewahrer und Öffnungsbefürworter. «Die eine Seite», so Helbling, «hängt am Bild einer homogenen Gemeinschaft, der nur angehören soll, wer sich ihr mentalitätsmässig assimiliert hat. Die andere Seite plädiert für eine plurale Gesellschaft; für sie ist die Staatsbürgerschaft primär eine rechtlich- formale Angelegenheit.» Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass solche binären Konflikt- Konstellationen in der modernen Schweiz immer wieder vorkamen. Die starke innere Differenzierung des kulturell und politisch heterogenen Kleinstaates erschwerte jedoch die Entfaltung von Fundamental-Konflikten. Ein unübersichtliches Geflecht von «Criss-Cross-Loyalitäten » führte dazu, dass politische Willensbildung in der Regel mit der pragmatischen Suche nach einem wohlaustarierten Konsens unter Beachtung der Minderheiten einherging.

Patrik Ettinger empfiehlt, im Sinne eines Verfassungspatriotismus dieser bewährten Art, Probleme zu lösen, wieder mehr Wertschätzung entgegenzubringen und sie als Kern der schweizerischen Identität zu begreifen. «Das würde», sagt er, «auch der Integration von Ausländern dienen, denn nur ein Gemeinwesen, das auf sich selbst vertraut, kann sich öffnen.» Was einer solchen Konfliktkultur heute allerdings entgegensteht, ist die ausgeprägte Eigenlogik medial hergestellter Öffentlichkeit. Massenmedien sind auf Konfliktstilisierung, Skandalisierung und auf Markierung von Differenzen geeicht. «Von kommerzialisierten Medien zu erwarten, dass sie dauerhaft gegen ihre innere Gesetzmässigkeit handeln, wäre naiv.» Mehr Erfolg würde laut Ettinger die Stärkung des Service public bringen. «Für eine höhere Qualität der Debatten», betont er, «sind aber auch die Einzelakteure in der Öffentlichkeit verantwortlich. Mit einer Selbstverpflichtung von Politikern, Migrationsfragen weniger polarisierend zu bewirtschaften, wäre schon einiges getan.»