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Sich gelb und grün ärgern

Wenn wir gestresst sind, gerät unser Hormonhaushalt ausser Rand und Band. Eine Folge davon sind oft auch körperliche Beschwerden. Die Psychologin Ulrike Ehlert erforscht, weshalb das so ist und was wir dagegen tun können.

Von Carole Enz

Wenn uns etwas an die Nieren oder auf die Nerven geht, auf den Magen schlägt – wenn uns die Galle überläuft, wir uns den Kopf zerbrechen oder uns gelb und grün ärgern, sind wir gestresst. Der Volksmund kennt allerlei Redewendungen, die Stress mit körperlichen Gebresten in Verbindung bringen. Doch spiegeln diese Metaphern tatsächlich die Reaktionen unseres Körpers auf mentale und emotionale Belastungen? Genau diese Frage beschäftigt Ulrike Ehlert seit Anfang der Neunzigerjahre: «Heute wissen wir, dass Stress körperliche Beschwerden auslösen kann und gleichzeitig Hormonstörungen vorliegen», bilanziert Ehlert. Die Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie machte deshalb die hormonelle Stressforschung zu einem Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Doch was kommt zuerst – die Beschwerden oder die Hormonstörungen? Zusammen mit ihrem Team hat Ehlert herausgefunden, was Patientinnen und Patienten verbindet, bei denen körperliche Beschwerden scheinbar ohne organische Ursachen auftreten: Sie haben zu niedrige Cortisol- Mengen im Blut. Und mit dem so genannten «Trier Social Stress Test» konnten die Psychologen beweisen, dass körperliche Beschwerden tatsächlich mit hormonellen Abweichungen zusammenhängen.

TRAINING ZUR STRESSBEWÄLTIGUNG

Aufgrund dieser Ergebnisse entwickelten die Forscher ein Stressbewältigungstraining. Mit dem Training wird eine Veränderung der Einstellung gegenüber belastenden Situationen angestrebt. So werden etwa die persönliche Autonomie und das Selbstvertrauen gefördert und Problemlösestrategien, Entspannungstechniken und kognitive Umstrukturierungstechniken vermittelt. Wie Nachuntersuchungen belegen, konnten so die Achterbahn fahrenden Stresshormone dank dieses Trainings wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Während körperliche Symptome wie Verstopfung und Durchfall, Aufstossen und Übelkeit zu niedrige Cortisol-Mengen als Ursache haben, sind die Cortisol-Werte von Patienten mit Depressionen viel zu hoch. Zu diesen Erkenntnissen gelangten Ehlert und ihr Team dank einer eleganten Messmethode: Sie haben Stress-Hormone indirekt im Speichel gemessen, denn auch seine Zusammensetzung verändert sich durch Stress. Der Vorteil: Es braucht keine Blutentnahme mehr, um die Hormonwerte zu messen – ein Watteröllchen genügt.

Dank diesen Erkenntnissen können viele Schmerzpatientinnen und -patienten aufatmen. Wenn man früher mit Magen-Darm-Beschwerden zum Arzt ging, klopfte einem dieser oft auf die Schulter und sagte: «Machen Sie sich keine Sorgen, alles ist in bester Ordnung.» Doch die Magen-Darm-Beschwerden waren trotzdem da, und man fühlte sich in die Simulanten-Ecke gedrängt. Für solche Menschen ist es ein Segen, zu wissen, dass es einen Zusammenhang zwischen psychischen Belastungen, einem gestörten Hormonsystem und Schmerzen geben kann. Dann fühlen sie sich ernst genommen und verstehen, dass sie an ihrer Lebenssituation etwas verändern müssen, um den Hormonspiegel zu normalisieren und die Beschwerden loszuwerden. Nachdem Ulrike Ehlert und die Arbeitsgruppe von Jens Gaab in ihrer Arbeit mit gesunden Menschen zeigen konnten, dass psychotherapeutisches Training physiologische Stressreaktionen verändern kann, wird nun in einer Studie versucht, diese Erkenntnisse auch für HIV-Patientinnen und -Patienten nutzbar zu machen. In Zusammenarbeit mit verschiedenen HIV-Zentren in der Schweiz untersuchen Jens Gaab und die zwei Nationalfonds-Doktorandinnen Simona Berger und Tanja Schad den Einfluss eines Stressbewältigungs-Trainings auf den Verlauf von HIV. Die bisherigen Auswertungen zeigen, dass durch Training die psychische Befindlichkeit sowie die Lebensqualität verbessert werden können. Ehlert bleibt jedoch vorsichtig: «Noch können wir nicht sagen, ob die HIV-Patienten auf ihrem weiteren Lebensweg besser dran sind als ohne Therapie.»

Doch weshalb entgleist der Hormonhaushalt? Diese brennende Frage konnte mit Berufsfeuerwehrleuten geklärt werden. Diese leiden häufig unter posttraumatischen Belastungsstörungen – neben körperlichen Beschwerden und Depressionen eine dritte Folge von Stress. Eine posttraumatische Belastungsstörung (Posttraumatic Stress Disorder, PTSD) tritt auf, wenn eine lebensbedrohliche Situation, in der massive Angst empfunden wird, psychisch nicht angemessen verarbeitet wird. Bei Folteropfern ist die Wahrscheinlichkeit 80 Prozent, dass sie ein PTSD entwickeln, bei Vergewaltigungsopfern liegt sie bei über 50 Prozent, bei Menschen mit Kriegserfahrungen bei über 30 Prozent, und von den Menschen, die eine Feuersbrunst, Verkehrsunfälle oder Naturkatastrophen erlebt haben, leiden rund 7 Prozent an PTSD.

Wie Ehlerts Untersuchungen bei den Feuerwehrleuten zeigten, verfügten Berufsanfänger, die später eine solche Erkrankung entwickelten, unter anderem über eine geringere Selbstwirksamkeit. Das heisst, sie zweifelten daran, dass ihr Handeln irgendjemandem hilft. In belastenden Situationen hatten diese Feuerwehrleute sehr hohe Cortisol-Spiegel, die dann aber in der Folgezeit stark absackten. Feuerwehrleute, die psychisch stabil geblieben sind, wiesen über die Zeit einen leichten Anstieg des Cortisol-Spiegels auf. Die Forscherin sagt dazu: «Damit konnten wir zum ersten Mal zeigen, wie sich eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt.»

GELASSENE BERGFÜHRER

Nachdem Ehlert wusste, wie wir auf Stress reagieren, fokussierte sie ihre Forschung auf zwei Fragestellungen: Was sind die Ursachen und warum bleiben gesunde Personen gesund? «Wir haben Rega-Mitarbeitende angeschaut, die oft unter schwierigen Umständen schwer verletzte Personen bergen müssen. Es hat sich gezeigt, dass die Rega-Leute psychisch sehr stabil sind», resümiert Ehlert. Ihre These lautet, dass Rega- Mitarbeitende stressresistent sind, weil sie ein hohes soziales Ansehen geniessen, das ihr Stresssystem positiv beeinflusst. Absolute Spitzenreiter in Sachen psychischer Stabilität sind allerdings die Bergführer. «Sie haben akzeptiert, dass Berge und Wettersituationen unberechenbar sind. Das gibt ihnen offenbar eine Art fatalistische Gelassenheit, die sie stressresistent macht», erklärt Ehlert. Feuerwehrleute hingegen sind felsenfest davon überzeugt, mit ihrer Ausrüstung jede Situation zu bewältigen. «Wenn dann etwas nicht funktioniert, erhöht das den Stress», bringt es Ehlert auf den Punkt. Wie der Vergleich zwischen den Feuerwehrleuten und den Bergführern zeigt, ist es einfacher, schwierige Situationen zu meistern, wenn man seine Grenzen kennt.

Damit leitet die Professorin zu ihren geplanten Untersuchungen an Kindern über: «Wenn ich ein Kind mit dem richtigen Ausmass an Autonomie erziehe, das es ihm ermöglicht, Grenzen auszuloten und Selbstvertrauen aufzubauen, dann wächst es zu einem Menschen heran, der Herausforderungen annehmen und sich nach Stress auch erholen kann.» Ehlert weist aber darauf hin, dass es nicht ganz so einfach ist, wie es tönt. Denn nicht nur erzieherische, sondern auch umweltbedingte und genetische Faktoren sind dafür verantwortlich, dass sich als Folge von Stress eine Erkrankung entwickeln kann.

Mit diesen Überlegungen wandelt Ehlert auf den Spuren von Sigmund Freud. Der Begründer der Psychoanalyse führte den Begriff Trauma in seiner psychologischen Bedeutung ein. Die Ursache für Hysterie etwa sah Freud in frühkindlichen Schock-Erlebnissen. Ehlert ist wie Freud davon überzeugt, dass man schon die frühe Entwicklung des Menschen anschauen muss: «Bereits beim Fötus gibt es Phasen in der Entwicklung, in denen eine höhere Empfänglichkeit für Belastungen vorhanden ist. Wenn dann bei der Mutter Stress auftritt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr gross, dass diese Belastung auch den Fötus beeinflusst. Daher gehe ich davon aus, dass bereits Säuglinge mit sehr unterschiedlich ausgebildeten Stressbewältigungssystemen ausgestattet sind. Wenn in der weiteren Entwicklung des Kleinkindes weitere Stresssituationen auftreten, kann es zu Veränderungen der Hormone und ihrer Rezeptoren kommen. So nimmt das Kind mit einem veränderten Stresspuffer seinen weiteren Lebensweg in Angriff.»

STRESSRESISTENTE SCHWANGERE

Ehlert hat mit ihrem Team Frauen im zweiten und dritten Schwangerschaftsdrittel und Nicht- Schwangere in der zweiten Zyklus-Hälfte ausgewählt und dem standardisierten Stresstest unterzogen. Während des zweiten Schwangerschaftsdrittels gelangt eine Schwangere stufenweise in den stressstabilen Zustand, der für das dritte Drittel charakteristisch ist. Eine gesunde Schwangere hat dann einen hohen Cortisol-Spiegel, der unter anderem durch die hormonbildende Plazenta gefördert wird. «Das ist normal», betont Ehlert, «interessant ist aber, dass Frauen im dritten Drittel sehr stressresistent und praktisch nicht aus der Ruhe zu bringen sind.»

Schwangerschaft bedeutet daher nicht nur biologische Veränderungen, auch psychologisch passiert viel. Entscheidend ist das zweite Schwangerschaftsdrittel. Dann wird bei den Föten das Stressbewältigungssystem aktiv – die Hirnregionen Hypothalamus und Hypophyse sowie die Nebennierenrinde nehmen ihre Arbeit auf. Zudem ist die Mutter dann noch nicht stressstabil. Aufgrund dieser Befunde hat Ehlert eine Stress-Theorie für die Schwangerschaft entwickelt: Kinder, deren Mütter im zweiten Schwangerschaftsdrittel Stress unterworfen waren, sind später möglichweise anfälliger für Stress. «So könnten wir vielleicht erklären, weshalb einige Erwachsene stressbedingte körperliche Beschwerden entwickeln und andere nicht», folgert Ulrike Ehlert. Sie ist überzeugt, dass «körperliche Beschwerden, eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine Depression nur dann entstehen können, wenn man einen schlecht ausgerüsteten Anti-Stress-Rucksack mit auf den Lebensweg bekommt.»