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Kein Spass ohne Ernst

Humor hat, wer über sich selber lacht, sagt das Sprichwort. Wie gross ist unsere Bereitschaft, sich selbst nicht ganz ernst zu nehmen, aber tatsächlich? Die psychologische Humorforschung geht der Sache auf den Grund.

Von Lukas Egli

Er werde nun ein paar Fotos meines Gesichts machen, erklärt der Versuchsleiter. Man habe herausgefunden, dass es zwischen der Physiognomie eines Menschen und dessen Humor Zusammenhänge gebe. Ist die Zeit der Physiognomik nicht längst vorbei, denke ich. Doch ich lasse mir nichts anmerken. Der junge Mann wird schon wissen, was er tut. Er schiesst seine Bilder, ich verziehe keine Miene. Dann muss ich einen weiteren Fragebogen ausfüllen. «Sind Sie vergnügt? – Ist Ihnen zum Lachen zumute?» Es ist Donnerstagmorgen, ein Arbeitstag. Beschwingt fühle ich mich eher nicht. Ich tendiere zur Feststellung «Ich bin ein ernster Mensch.» Das heisst wohl Punkteabzug, fürchte ich.

Es ist ein aussergewöhnliches Experiment, das Fabian Gander, Damian Hiltebrand und Tobias Wyss am Psychologischen Institut der Universität Zürich durchführen. Nach Ausfüllen mehrerer Fragebogen, dem Eysenck Personality Questionnaire, dem State-Trait-Heiterkeits- Inventar, einer Sense of Humor Scale sowie einem Fragebogen zur Humorpräferenz 3WD werde ich zum Experiment eingeladen. Zusammenhänge zwischen Humor und Persönlichkeit sollen untersucht werden. Können wir tatsächlich über uns selbst lachen? Im Experiment wollen die Psychologen diese Frage klären.

Der Versuchsleiter erklärt mir am Computer ein Programm, mit dem ich Selbstporträts machen und bearbeiten kann. Die Software verzerrt das Gesicht zur Fratze, macht die Nase zur Blumenkohl-grossen Knolle oder zu einem schwarzen Loch, das den Rest des Gesichts in sich aufzusaugen scheint. Ich soll ein möglichst lustiges Bild von mir selbst machen. Der Versuchsleiter setzt sich wenige Meter entfernt an einen Tisch. Er beachtet mich nicht, während ich mich halb totlache. «Nur nichts anmerken lassen», denke ich. Man kann doch in einem Versuchszimmer nicht lauthals lachen.

«Unsere Forschung ist ausserhalb des Mainstreams », sagt Willibald Ruch, Professor für empirische Persönlichkeitspsychologie und psychologische Diagnostik und eine Kapazität in der Humorforschung. «Wir betreiben eine ernste Wissenschaft, deren Gegenstand aber das Gegenteil von ernsthaft ist. Das macht einem das Leben im wissenschaftlichen Betrieb bisweilen etwas schwer», sagt Ruch. Wenn er als Psychologe Karriere machen wolle, müsse er die Psychologie ernster nehmen, wurde einem seiner amerikanischen Kollegen einmal geraten.

DIE ERFREULICHEN SEITEN DES DASEINS

Die Humorforschung gibt es seit gut 100 Jahren, aber erst seit 1980 wird intensiv geforscht. Einzelne Bereiche seien gut erforscht, manche Fragen aber noch gar nicht gestellt worden, sagt Ruch. Das macht das Thema für ihn attraktiv. Ruch ist ein Vertreter der Positiven Psychologie, als deren Vorbotin die Humorforschung gilt. Im Unterschied zur klassischen Psychologie setzt sich dieser Zweig des Faches mit den erfreulichen Seiten des Daseins auseinander. Psychologie müsse nicht nur Krankheiten erforschen, sondern auch die Dinge, die das Leben lebenswert machen, so die Lehrmeinung.

Bis zum Zweiten Weltkrieg hatte die Psychologie einen klaren Fokus: Meist wurde sie an kleinen Instituten betrieben und beschäftigte sich mit allen Facetten der menschlichen Seele. So stammen zum Beispiel die meisten grossen Studien zur Hochbegabung aus dieser Zeit. Angesichts Tausender traumatisierter Soldaten und eines überforderten Gesundheitswesens verschoben sich jedoch die Interessen der jungen Disziplin. Die Psychologie erfuhr eine Öffnung in Richtung Medizin, die Anzahl praktizierender Psychologen stieg stark an, das Selbstverständnis änderte sich. Sie sah sich fortan als «kleine» Medizin, die sich um alle nicht-physischen Schmerzen kümmerte. Wie hätte man sich angesichts all des menschlichen Leids den schönen Dingen des Lebens zuwenden können?

Auch der Übervater der Tiefenpsychologie wirkte in diese Richtung: Sigmund Freud zeichnete ein pessimistisches Bild unseres Daseins. Dass der Mensch glücklich werde, sei im Plan der Schöpfung nicht vorgesehen, lautete sinngemäss einer seiner Leitsätze. Das Gute als Derivat des Schlechten – selbst sexuelle Lust ist bei Freud nur Sublimation eines unbefriedigten anderen Triebs. Eine teilweise Rehabilitation erfuhr die Erforschung der Sonnenseiten des Lebens erst in jüngerer Zeit. Seit der Humor im Alltag stärker verwendet werde, etwa in der Werbung oder in der Ausbildung, werde er auch in der Forschung nachgefragt, so Ruch. «Untersuchte Psychologie bislang die Zustände von Null bis minus Zehn, nimmt die Positive Psychologie diejenigen von Null bis plus Zehn unter die Lupe», erklärt er. In diesem Zusammenhang ist die Humorforschung ein wichtiger Faktor.

HUMORVOLLES IDEAL

Sind Sie ein humorvoller, ein unterhaltsamer Mensch? Sind Sie ein Mensch, der eine Party innert kürzester Zeit aufmischen kann? Einer, der seine Mitmenschen ohne Weiteres unterhalten kann? Einer, der mehrmals täglich schallend lacht? Sind Sie der Typ, der ein herzhafteres, robusteres Lachen hat als die meisten anderen Menschen? – Überall in den Fragebogen der Psychologen begegnet einem dieser Idealtyp, dem alles leicht zu fallen scheint, der auf alle Widrigkeiten des Lebens eine humorvolle Antwort hat. Wie gerne würde man diesem Idealbild entsprechen – wie verlockend wäre es, all diese Fragen mit einem Ja zu beantworten!

Aber auch weniger vorteilhafte Wesensmerkmale erfragen die Psychologen in ihrem Test: Wechselt Ihre Stimmung oft? Oder: Sind Ihre Gefühle leicht verletzt? Sind Sie der Typ, der sich oft sorgt? Haben Sie je schlecht oder gemein über jemanden gesprochen? «Ja, leider», muss ich sagen. Erst später wird sich herausstellen, dass diese Fragen nicht auf meine Humorfähigkeit abzielen, sondern Kontrollfragen zu verschiedenen Aspekten der Persönlichkeit waren.

Mittlerweile sind die Selbstporträts, die ich am Computer gemacht habe, fertig. Unauffällig wische ich mir die Lachtränen aus den Augen und stehe auf. Der Versuchsleiter schaut mich an und bittet mich, an einem Tisch Platz zu nehmen. Auf seinen Lippen zeichnet sich ein Lächeln ab, als er mir mitteilt, ich sei während der Lösung der Aufgaben mit einer versteckten Kamera gefilmt worden. Man habe schauen wollen, wie gross meine Bereitschaft ist, über mein verzerrtes Ebenbild zu lachen. Erwischt!

«Es gibt die Floskel: Humorvoll ist, wer über sich selbst lachen kann», sagt Ruch. Die meisten Menschen würden von sich behaupten, dass sie dies können. Doch ob es diese Fähigkeit überhaupt gibt, hat noch niemand wissenschaftlich untersucht. Auf genau diese Frage erhoffen sich die Forscher nun Antworten aus diesem Experiment, das eine Vorstudie zu einer grösseren Arbeit und zudem der erste Versuch dieser Art weltweit ist. Die Untersuchung soll so eine wichtige Lücke in der Forschung schliessen.

Um zu aussagekräftigen Resultaten zu gelangen, müssen die Psychologen einige Vorkehrungen treffen. Denn das Erfragen von Humor ist problematisch, weil er ein beliebtes Merkmal ist. Die Fragebogen enthalten in einer Unterskala eine Selbstbewertung der Fähigkeit, über sich selbst zu lachen. Sie wird ergänzt durch eine Fremdbewertung zweier Personen aus dem Bekanntenkreis des Versuchsteilnehmers. Diese Daten werden verglichen mit den Resultaten des Experiments. Das Problem des Tests wiederum ist, die Interaktion zwischen Versuchsperson und Versuchsleiter zu minimieren. Die Störvariablen müssen so klein wie möglich gehalten werden, damit die Stimmung des Versuchsleiters die Testperson nicht beeinflusst. Die Legende von der Physiognomik beispielsweise dient dazu, die Aufmerksamkeit auf anderes zu lenken.

Die Resultate der Versuchsreihe, an der rund 60 Menschen teilgenommen haben, sind noch ausstehend. Aber eines ist klar: Die Versuchspersonen mussten darüber aufgeklärt werden, dass sie gefilmt worden sind und einwilligen, dass die Bilder verwendet werden dürfen – und das taten laut Ruch erfreulicherweise fast alle. Ein Indiz dafür, dass die Teilnehmer durchaus über einen gesunden Humor verfügen.

SÄFTELEHRE UND COMICSTRIPS

Doch was ist Humor überhaupt? Diese vordergründig einfache Frage ist gemäss Willibald Ruch nicht geklärt. Es gebe international noch keine Einigung darüber, was der eigentliche Forschungsgegenstand sei, weil es sehr unterschiedliche Traditionen des Humorgebrauchs gebe. Die Bedeutung des Begriffs hat in den 2000 Jahren seiner Existenz eine grosse Wandlung durchgemacht. Humor kommt von «umor», Feuchtigkeit, Flüssigkeit, und geht auf die Idee zurück, dass den menschlichen Körper vier Flüssigkeiten durchfliessen, die sein Temperament und seinen Charakter bestimmen. Die «umores» müssen in ausgeglichener Mischung zueineranderstehen; wer von einem Saft zuviel hat, tendiert zum Sanguiniker, Melancholiker, Choleriker oder Phlegmatiker.

Mit dem Humanismus, mit der Lehre von Gleichheit und Toleranz, entstand die Unterscheidung von gutem und schlechtem Humor und somit eine Qualifizierung eines nichtverletzenden sowie eines bösen, spöttischen Humors. Seit dem 19. Jahrhundert gilt Humor in Europa als Lebenshaltung – als die Fähigkeit, widrige Lebensumstände heiter und gelassen zu ertragen. Humor ist eine Art Puffer, ohne den uns alle negativen Erlebnisse in negative Stimmung versetzen würden.

Mit dem Aufstieg der USA zur Weltmacht aber änderte sich der Humorbegriff. Mit den Comicstrips verbreitete sich die Idee, dass Humor einfach all die Dinge bezeichnet, über die man lachen kann. Es ist diese «vulgäre» Definition, die heute vorherrscht und gegen die sich die Europäer wehren. «Humor kann nach Ansicht der Amerikaner auch aggressiv sein. In unserem Denken indessen passen Aggression und Humor nicht zusammen», so Ruch.

Aber gibt es denn auch humorlose Menschen? «Alle Kinder dieser Welt spielen, und Humor baut auf Spiel. Insofern bin ich der Meinung, dass grundsätzlich alle Menschen humorfähig sind», sagt Ruch. Erst während des Erwachsenwerdens würden die Menschen zunehmend ernster. Da spielen viele Faktoren eine Rolle, unter anderem auch das kulturelle Umfeld. «Es gibt Geschichten von Menschen, die das Leben sehr ernst nehmen und als total humorlos gelten. Bis sie nach einem einschneidenden Erlebnis plötzlich aufblühen und Humor entwickeln», sagt der Psychologe. Die Fähigkeit zum Humor sei allen gegeben; es komme nur darauf an, wie man ihn praktiziert. Oft überlagert aber der Drang, der Beste zu sein, die Tendenz zum Spielen.

Ich halte mir mehrmals am Tag den Bauch vor Lachen. Wenn ich ins Kino gehe, würde ich lieber einen guten komischen Film sehen als einen traurigen. Ich gehe unbeschwert durchs Leben. Ich habe ein sonniges Gemüt. – Alles Schein: Nein, ich bin wohl tatsächlich nicht dieser Idealtyp, der mich durch all diese Fragenbogen begleitet hat – der ich aber für das Experiment auch gar nicht sein muss, wie man mir später versichert. Niemand erreiche üblicherweise die Höchstwerte. Und zudem: Muss man – nach europäischer Lesart – nicht erst den Ernst des Lebens erkennen, um ihn auch gelassen ertragen zu können?