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Stimmt es, dass elektronische Medien den Schreibstil verwildern lassen?

Von Prof. Christa Dürscheid

Entstehen durch den Einsatz neuer Medien neue Formen des Schreibens? Zeichnen sichVeränderungen im Sprachgebrauch ab? Wie schreiben Jugendliche Deutschaufsätze, wie Studierende Seminararbeiten, wenn sie ständig SMS und E-Mails verschicken, häufig chatten und im Internet surfen? Und bekanntlich tun das Studierende nicht nur in der Freizeit; auch im universitären Alltag spielen die neuen Kommunikationsformen eine wichtige Rolle. Organisatorische Fragen werden über E-Mail geklärt, E-Mail-Sprechstunden werden eingerichtet, studentische Online-Diskussionsforen ergänzend zur Präsenzlehre angeboten.

Häufig finden sich in diesen Texten Ausdrucksmittel, die man in der Linguistik der konzeptionellen Mündlichkeit zurechnet. Der Grund liegt auf der Hand: Man wähnt sich in einem Gespräch, die Situation ist stark dialogisch ausgeprägt. Dies führt zu einem informellen, saloppen Schreiben. Auf Postkarten oder in Tagebüchern lesen wir dies zwar auch, neu ist aber, dass ein solches Schreiben nicht mehr nur im privaten, sondern eben auch im öffentlichen Raum zu beobachten ist. Dazu kommt das schnelle, das flüchtige Tippen und ein sorgloserer Umgang mit orthographischen Normen. Das führt dazu,dass man etwa die Gross- und Kleinschreibung nicht berücksichtigt und auf das Korrekturlesen verzichtet. Oft sind es keine Wissenslücken, sondern Schreibfehler wie Buchstabendreher oder Auslassungen, die in Kauf genommen werden – auch weil man davon ausgeht, dass der andere toleranter ist als bei der Lektüre eines nicht-elektronischen Textes. Weiter sind viele Texte auf das Wesentliche reduziert, ohne lange Einleitung. Der andere kann ja schnell nachfragen; er muss nicht Tage warten, bis er die Mitteilung erhält und antworten kann. In der Regel erübrigt es sich auch, den Sachverhalt, um den es geht, noch einmal eigens zu erläutern, denn der Bezugstext wird im Text mitgeführt oder wurde Sekunden zuvor erst geschrieben.

E-Mail-Gruselkabinett

Sehen wir uns hierzu ein Online-Diskussionsforum im Fach Psychologie an. Ein Student schreibt zur Frage, ob man die Faktorenanalyse verwenden könne: «Sorry, hier meine Versuche: Ja, ich denke, man könnte sie verwenden. [...] Man gibt der VP verschiedene Witze vor: Einen mit sexuellem Inhalt, einen mit aggressivem Inhalt. Diese 2 Witzkategorien mit unterschiedlich starkem Jokework. Man fragt die VP wie lustig sie die einzelnen Witz findet.» Wie wir an diesem Textauszug sehen, finden sich orthographische Fehler, vor allem aber schreibt der Student recht informell, er verwendet Gesprächspartikeln, bildet unvollständige Sätze; kurz, er schreibt so, wie er auf diese Frage auch mündlich antworten würde.

In diesem Zusammenhang sei auch kurz auf die E-Mail-Kommunikation eingegangen. In «Spiegel online» gab es im Juli 2006 einen Artikel zum Thema «E-Mail-Gruselkabinett», in dem die Gepflogenheiten des studentischen E-Mail-Schreibens thematisiert wurden. In den Beispielen ging es aber nicht nur um die starke Tendenz zum informellen Schreiben («Hallöchen Herr Professor», «völlig abgefuckte Vorlesung»), sondern auch um andere Phänomene, die die Nutzung der neuen Kommunikationsformen mit sich bringt. So wurde auf die Unsitte hingewiesen, ohne Voranfrage mehrere Megabytes umfassende Mails mit dem gesamten Text einer Examensarbeit zu verschicken. Ein anderes Problem ist die neue Chronemik der Kommunikation. Man erwartet, dass alles in kürzester Zeit verfügbar ist, Anfragen über E-Mail sofort beantwortet werden. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Studierenden, sondern auch für uns Dozierende. Wenn ich beispielsweise eine Mail an eine Studentin oder eine Kollegin schicke, dann wundere ich mich auch, wenn ich nicht innerhalb kurzer Zeit Antwort bekomme.

Bewusstsein für Textsorten entwickeln

Führt all das nun zu einer Verwilderung des Schreibstils? Das Schreiben im Netz kann Studierende – und nicht nur sie – dazu (ver)führen, einen Online-Stil zu verwenden, der in diesem Kontext unauffällig,in anderen Kontexten aber unangemessen ist. Wichtig ist, dass sich die Schreibenden bewusst machen, welche Normen jeweils gelten und ob die Ausdrucksweise jeweils die angemessene ist. Dabei liegen die Normen auf verschiedenen Ebenen; sie sind nicht absolut gesetzt, sondern hängen von dem Adressaten, dem Thema, der jeweiligen Textsorte und nicht zuletzt auch der Kommunikationsform (E-Mail, herkömmlicher Brief, SMS) ab. Die Schreibenden müssen ein Bewusstsein für die Variabilität solcher Normen entwickeln, und dieses Bewusstsein muss ihnen bereits in der Schule vermittelt werden. Es kann dabei nicht darum gehen, feststehende Schreibregeln zu lehren und zu lernen. Wichtig ist, die Regeln im Hinblick auf ihre Angemessenheit innerhalb der jeweiligen Textsorte zu formulieren. Im Übrigen besteht die Unangemessenheit eines sprachlichen Ausdrucks nicht immer darin, dass umgangssprachliche Ausdrucksweisen verwendet werden. Es kann ganz im Gegenteil auch sein, dass sich die Schreibenden dezidiert um Wissenschaftlichkeit bemühen und syntaktische Konstruktionen verwenden, die den Text schwer lesbar machen.