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Die Ausstellung «Kultur - eine Eigenheit des Menschen?» ist noch bis zum 21. Dezember im Anthropologischen Museum der Universität Zürich, Winterthurerstr. 190, zu sehen. Zur Ausstellung ist ein Begleitheft erschienen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 12-18 Uhr

Kultur kommt von Kopieren

Das Thema beinhaltet Zündstoff: Ist die Kultur eine Eigenheit des Menschen, die den Homo sapiens von den Tieren abhebt, oder gibt es auch bei Tieren Ansätze für Kultur? Das Anthropologische Museum der Universität Zürich geht der Frage in seiner aktuellen Ausstellung nach.

Von Theo von Däniken

Seit die Wissenschaft den genetischen Code immer besser entschlüsseln kann, schmilzt die einst so sicher geglaubte Überzeugung, der Mensch sei einzigartig, wie Schnee an der Sonne. Nimmt man die Gene zum Massstab, so ist der Schimpanse dem Menschen näher als dem Gorilla. Nur wenige Prozent des Genmaterials unterscheiden uns von unserem nächsten tierischen Verwandten.

Lassen sich genetisch also nicht so eindeutige Grenzen ziehen, so schienen die Unterschiede in anderen Feldern unbestritten. Sprache, Wissen, Religion, Kunst, Moral, Technologie und Gesetze – mit einem Wort: Kultur – ist es, was den Menschen eindeutig von allen anderen Lebewesen abgrenzt. Doch ist die Fähigkeit, kulturelle Leistungen hervorzubringen, tatsächlich nur dem Menschen eigen? Auch hier zeigen jüngere Erkenntnisse, dass die Grenzen vielleicht doch nicht so klar sind.

Socken waschen im Urwald

«Je nachdem, wie man Kultur definiert, ist sie durchaus keine Eigenheit des Menschen», erklärt Peter Schmid, Kurator am Anthropologischen Museum der Universität Zürich. Definiert man Kultur biologisch als die Fähigkeit, Erfindungen zu machen und dieses Wissen anderen Artgenossen weiterzugeben, dann können verschiedenen Tieren – vor allem Menschenaffen – kulturelle Leistungen zugeschrieben werden.

Wie ein amüsantes Video in der Ausstellung zeigt, sind die Orang-Utans im indonesischen Urwald wahre Meister darin, die Menschen nachzuahmen. Ob sägen oder Socken waschen, was die Menschen ihnen vormachen, wollen die Orang-Utans auch probieren.

Kopieren als Grundvoraussetzung

«Diese Lust am Kopieren ist eine der Grundvoraussetzungen, dass Kultur entstehen kann», ist Schmid überzeugt. Denn bei Affen oder – wie Anthropologen der Universität Zürich kürzlich herausgefunden haben – bei Delfinen läuft die Wissensvermittlung allein über das Nachahmen. Hat ein Tier eine Technik oder ein Werkzeug «erfunden», das ihm einen Vorteil bringt, so machen es ihm andere nach. Aktives Lehren gibt es allerdings nicht, die Wissensvermittlung ist deshalb sehr langsam. «Junge Schimpansen brauchen mehrere Jahre, bis sie beispielsweise den Umgang mit Werkzeugen zum Knacken von Nüssen erlernt haben», sagt Schmid.

Nichtsdestotrotz kann auf diese Weise Wissen über Generationen weitergegeben werden. Und man kann so auch kulturelle Unterschiede zwischen verschiedenen Populationen derselben Art feststellen. So gibt es im Urwald von Sumatra (Indonesien) Orang-Utans, die die wohlschmeckende, aber stachelige Frucht der Neesia-Bäume mit einem kleinen Holzstab öffnen und essen können. Anderen Gruppen bleibt das feine Fruchtfleisch verwehrt, denn sie kennen die Stäbchen-Technik nicht. Die Innovation wurde zwar innerhalb der einen Gruppe weitergegeben, ging aber nicht über sie hinaus: ein Fluss, der die Gruppen trennt, wirkt als «Kulturscheide».

Sprache als Innovations-Booster

Das Beispiel zeigt: Bei Tieren ist die Grundlage für kulturelle Leistungen zwar angelegt, doch können sie ihre Errungenschaften nur schlecht weiter vermitteln. Dadurch ist es nicht möglich, verschiedene Innovationen zu kumulieren, was für den Fortschritt entscheidend wäre: «Alles, was Affen können, kann im Prinzip ein intelligenter Affe selbst herausfinden», bringt es Schmid auf den Punkt.

Hier liegt denn auch der grosse Unterschied zum Menschen: Die Sprache und insbesondere die Symbolsprache haben es dem Menschen ermöglicht, Innovationen zusammenzutragen, weiterzuentwickeln und jeweils auf einem höheren Stand weiterzugeben. Dies hat in der jüngsten Zeit zu einer regelrechten kulturellen Explosion geführt. Denn während die Entwicklung vom einfachen, mit wenigen Schlägen bearbeiteten Steinwerkzeug zur elaborierten Steinklinge noch 2,5 Millionen Jahre in Anspruch nahm, so schaffte der Mensch den Sprung von diesem Steinwerkzeug zur Mondlandung in gerade mal rund 25'000 Jahren.

Steinkeile aus 800'000 Jahren

Eindrücklich aufgezeigt wird diese über Hunderttausende von Jahren langsam fortschreitende Entwicklung der Kultur an der von Peter Schmid bearbeiteten Fundstelle in Hummal in Syrien. An einem einzigen Ort finden sich dort Steinwerkzeuge aus insgesamt 21 verschiedenen Perioden von 850'000 bis 10'000 Jahren vor unserer Zeit. Das zeigt: Können Menschenaffen auch einfache Werkzeuge benutzen, so liegt zwischen diesem einfachen Werkzeuggebrauch und einer höher entwickelten Kultur, die auch beispielsweise die Verwendung von Symbolen oder Kulten kennt, noch ein unendlich weiter Weg.

Kultur braucht Pflege

Die Ausstellung im Anthropologischen Museum will deshalb auch nicht die Grenze zwischen Mensch und Tier einreissen, sondern das Nachdenken über Kultur anregen, wie Schmid erklärt: «Wir wollen aufzeigen, wie Kultur entstehen und wie sie sich entwickeln kann.» Und auch, dass die kulturelle Entwicklung nicht immer nur in eine Richtung gehen muss. Wird sie nicht gepflegt, kann Kultur auch verloren gehen. Mündlich überliefertes Wissen, wie etwa Sprachen ohne Literatur oder die Kenntnis von Medizinmännern über Heilkräuter, stirbt aus, wenn es nicht weitergegeben wird. Aus diesem Grund sollten wir dem, was uns auch nach neuesten Erkenntnissen der Anthropologen klar von den Tieren abhebt, genügend Sorge tragen.