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Religionsstifter fallen nicht vom Himmel

Jede Religion hat einmal klein angefangen, auch der Buddhismus mit seinen heute weltweit 350 Millionen Anhängern. Wie schaffte es Buddha, sich in der Geschichte durchzusetzen, während andere «religiöse Sucher» wieder untergingen?

Von Katja Rauch

Als Budda Gotama etwa im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung mit seinen Anhängern übers Land wanderte und sich seine Nahrung erbettelte, dürfte er sich kaum von all den anderen Bettelmönchen seiner Zeit unterschieden haben. Indien befand sich damals im Umbruch. Eine grosse Zahl von freien Asketen machte sich auf die Suche nach neuen religiösen Ufern und widersprach damit der herrschenden Gesellschaftsschicht der Brahmanen. Die Brahmanen-Priester behaupteten, das Gleichgewicht der Welt müsse mit Opfern aufrechterhalten werden – und sie selbst hielten diese Rituale fest in der Hand: Die Bevölkerung hatte weder Zugang zu den grossen Opferfesten, noch durfte sie selber Opfer erbringen. Die freien Asketen hingegen erklärten die Welt neu und wiesen dem einzelnen Menschen einen wichtigeren Platz zu: Die Opfer seien nicht wichtig, wichtig sei nur, sich selber aus dem Kreislauf der Wiedergeburten zu befreien.

Viele solcher «religiöser Sucher» zogen durchs Land, und während sie den Leuten als «Hauslose» ihre leeren Essensschalen hinhielten, versuchten sie sie von ihren Ideen zu überzeugen. Von all diesen potenziellen Religionsstiftern sind am Ende genau zwei übrig geblieben: Buddha und Mahavira, auf den der Jainismus mit heute etwa 2,6 Millionen Anhängern in Indien zurückgeht. Was haben sie besser gemacht als ihre Konkurrenten? Weshalb haben sie mehr Anhänger gefunden und damit als religiöse Gruppe überlebt? Genau diese Frage interessierte die Religionswissenschaftlerin und Indologin Caroline Widmer. In ihrer interdisziplinären Dissertation untersucht die Doktorandin den Pali-Kanon, eine Sammlung von Texten, die laut buddhistischer Tradition gleich nach dem Tod des historischen Buddhas im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung mündlich zusammengefügt und bereits im 1. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung schriftlich niedergelegt worden sein soll. Belege dafür gibt es allerdings nicht, die ältesten bekannten Manuskripte stammen aus dem 8. oder 9. Jahrhundert. «Es handelt sich um eine gewachsene Literatur, die schwierig zu datieren ist, wie vieles in Indien», sagt Caroline Widmer. Dennoch hält die Religionswissenschaftlerin mit Schwerpunkt Indologie den Pali-Kanon für eine sehr gut geeignete Quelle, um die frühbuddhistische Abgrenzung von seinen Konkurrenten zu studieren. Auffällig viele Texte der Pali-Sammlung sind in Dialogform gehalten. «Das ist sicher kein Zufall», meint Caroline Widmer. In der persönlichen Begegnung lasse sich die eigene Position eben sehr gut darstellen. Zum Beispiel, wenn Buddha mit seiner Lehre einen neuen Anhänger bekehrt, oder auch, wenn er sie gegenüber einem unverbesserlichen Gegner oder Konkurrenten herausstreicht. So können die Texte gut als Dokumente frühbuddhistischer Selbstdarstellung gelesen werden.

Buddha gilt als der Inbegriff an Friedfertigkeit und Toleranz – doch nach der minutiösen Lektüre des Pali-Kanons hegt Caroline Widmer da ihre Zweifel. Über weite Strecken seien die Texte zwar durchaus freundschaftlich gehalten, «aber einige sind auch ziemlich polemisch und aggressiv». Da werden zum Beispiel Brahmanen lächerlich gemacht und gedemütigt, was nicht ganz zum harmonischen Buddhabild passt, wie die Doktorandin findet. Ein Buddha mit Ellbogen also? «Vielleicht geht es ohne Ellbogen einfach nicht», meint Widmer, «wer andere Positionen mit der eigenen gleichsetzt, wird sich kaum durchsetzen.»

In diesem Sinn hat sich der literarische Buddha in den Pali-Dialogen auch klar von den anderen freien Asketen abgegrenzt. «Seht, sie leben wie die Hunde», heisst es an manchen Stellen, «nackt oder in Lumpen gekleidet, schmutzig und stinkend.» Hier hat schon der frühe Buddhismus den «mittleren Weg» propagiert, nach dem zwar die lustvollen Sinnesfreuden nicht zur Erlösung führen, aber auch die extreme, qualvolle Askese nicht. Überhaupt, so Widmer, zeigt sich der Anspruch auf Erlösung in diesen Texten ganz exklusiv. Das Ziel aller asketischen Strömungen in Indien war die Erlösung von den Wiedergeburten. Und Buddha und seine Anhänger propagierten, die einzigen zu sein, die den richtigen Weg dazu gefunden hätten. «Der Pali-Kanon wurde primär von Buddhisten für Buddhisten überliefert», erklärt die Religionswissenschafterin. «Es ging nicht darum, Andersdenkende zu missionieren. Vielmehr sollte die eigene Gemeinschaft durch die Abgrenzung von den anderen zusammengeschweisst werden.» Trotz des alleinigen Anspruchs auf den richtigen Erlösungsweg forderte der frühe Buddhismus im Pali- Kanon von seinen Anhängern jedoch nicht, dass sie sich um jeden Preis entscheiden, wie es etwa das frühe Christentum tat: Falls ein neuer Anhänger Buddhas riskierte, durch seine offene Bekehrung von seinem bisherigen sozialen Umfeld verstossen zu werden, durfte er sich durchaus auch nur versteckt zum Buddhismus bekennen. Wahrscheinlich ebenfalls ein geschickter Schachzug, vermutet die Doktorandin. So hat der Buddhismus seinen Siegeszug angetreten. 350 Millionen Menschen auf der ganzen Welt bekennen sich heute zu ihm. In Indien, da, wo er vor 2500 Jahren begann, starb er nach ein paar Jahrhunderten allerdings wieder aus. «Das ist die Ironie an der Geschichte», sagt Caroline Widmer.