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Rechtswissenschaftliche Fakultät

Was ist Strafprozessrecht?

Einige theoretische Begriffe

Gericht

Das Strafprozessrecht enthält die Bestimmungen, welche bei Verdacht einer Straftat das Verfahren regeln, an dessen Ende der Entscheid über Schuld oder Unschuld steht. Das Strafprozessrecht enthält Bestimmungen über die Organisation der Strafverfolgungsbehörde und es schreibt vor, wie ein Sachverhalt abzuklären und zu würdigen ist. Weiter enthält es Bestimmungen zum Schutz des Einzelnen vor ungerechtfertigten Verdächtigungen und unzulässigen Eingriffen in dessen Persönlichkeitsrechte. Das Strafverfahren dient der Durchsetzung des Strafrechts. Das Strafprozessrecht ist aber nicht etwa nur eine rein technische Materie, die bestimmt, auf welche Art und Weise die Untersuchungsbehörde und gegebenenfalls das Gericht zu einer Entscheidung über Schuld und Unschuld des Beschuldigten zu kommen hat. Der eigenständige Wert des Strafprozessrechts liegt darin, dass die Grenzen festgelegt werden, welche die Strafverfolgungsorgane bei der Abklärung eines Straftatverdachts zu beachten haben.

Der Anklagegrundsatz

Die Art und Weise, wie mit einem Straftatverdacht und wie mit Straftatverdächtigen umzugehen ist, hat sich, verglichen mit früheren Zeiten, stark gewandelt. Während in früheren Zeiten die Aufgaben des Anklägers und des Richters in einer Person vereinigt waren, sieht das Strafprozessrecht seit der Abschaffung des Inquisitionsprozesses eine Trennung der Rollen des Anklägers und des Richters vor. Der für den modernen Strafprozess grundlegende Anklagegrundsatz besagt, dass der Richter nicht mehr eigeninitiativ tätig werden darf, sondern nur noch dann, wenn die hierzu berufene Anklagebehörde eine Anklage erhoben hat. Die Anklagebehörde bestimmt durch ihre Anklage den Verfahrensgegenstand, den das Gericht bei seiner Urteilsfindung auszuschöpfen hat, dessen Grenzen es aber nicht überschreiten darf. Die Trennung der Funktionen des Anklägers und des Richters soll zum einen die Unparteilichkeit und Unbefangenheit des Richters gewährleisten, zum anderen soll die durch die Anklage vorgegebene Festlegung des Verfahrensgegenstandes dem Prozess eine rechtsstaatlichen Mindestanforderungen entsprechende Form geben. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, muss die Anklageschrift den Straftatvorwurf in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht hinreichend konkret bestimmen.

Objektivität von Gericht und Anklagebehörde

Dem Beschuldigten kommt im modernen Strafprozessrecht nicht mehr nur – wie noch im Inquisitionsprozess – die Rolle eines reinen Objekts des Verfahrens zu, sondern er ist ein mit eigenen prozessualen Rechten ausgestattetes Verfahrenssubjekt, der die Möglichkeit haben muss, in einem gewissen Mass auf den Gang und auf das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen und der sich zur Wahrnehmung dieser Rechte auch des Beistands einer Verteidigerin oder eines Verteidigers bedienen kann. Unabhängig davon, dass der Beschuldigte im modernen Strafrecht die Möglichkeit hat, seinen Standpunkt in das Verfahren einzubringen, verlangt die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens darüber hinaus aber auch, dass das Gericht und die Staatsanwaltschaft nicht nur einseitig die belastenden, sondern in gleicher Weise auch die entlastenden Umstände zu ermitteln und zu berücksichtigen haben. Wenn es im Verfahren um Fragestellungen geht, deren Beantwortung eine besondere Sachkunde erfordert, die Juristinnen und Juristen von ihrer Ausbildung her nicht haben, müssen Gericht und Anklagebehörde Sachverständige hinzuziehen, die dann ihrerseits auch den Anforderungen der Objektivität zu entsprechen haben und die von der Anklagebehörde unabhängig sein müssen.

 

 

Von der Theorie zur Praxis: der "Swissairfall"

Swissair

Im Verfahren gegen die Organe der SAir-Group hat das Gericht zunächst die Anklage zurückgewiesen, weil diese mangelhaft war, d.h. weil sie nicht den Anforderungen des Strafprozessrechts entsprach. Ausserdem befand das Gericht, dass der Experte, welcher von der Staatsanwaltschaft beigezogen worden war, nicht unabhängig war. Gemäss Strafprozessrecht hatten die Angeklagten aber Anspruch auf einen unabhängigen Gutachter.

Bekanntlich wurden die Angeklagten freigesprochen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wer die Gerichtsgebühren zu tragen hat. Der Staat erhebt für die Beanspruchung der Justiz Gebühren in Form von Spruch-, Vorladungs-, Schreib- und Zustellungsgebühren. Neben diesen Gebühren werden auch die im konkreten Verfahren entstandenen Auslagen wie Entschädigungen an Zeugen und Sachverständige in Rechnung gestellt. Als Kostenträger kommen der Angeschuldigte, der Kläger, andere Verfahrensbeteiligte und schliesslich auch der Staat in Frage. Der Angeschuldigte trägt dann die Kosten, wenn er einer strafbaren Handlung schuldig erklärt wird. Bei Freispruch hat grundsätzlich der Staat die Kosten zu übernehmen. Die Strafprozessordnungen sehen unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen vor. Die Zürcher Strafprozessordnung bestimmt beispielsweise, dass einem Angeschuldigten die Kosten bei Freispruch dann auferlegt werden dürfen, wenn er die Einleitung der Untersuchung durch ein verwerfliches oder leichtfertiges Benehmen verursacht oder ihre Durchführung erschwert hat. Die Kostenpflicht stellt in diesem Sinne eine den zivilrechtlichen Grundsätzen angenäherte Haftung für fehlerhaftes Verhalten dar. Den Angeklagten wurden im „Swissair-Prozess“ keine Kosten auferlegt, weil sie nicht verurteilt wurden und weil ihnen überdies nicht vorgeworfen werden konnte, das Verfahren in verwerflicher Weise verursacht oder erschwert zu haben.