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Rechtswissenschaftliche Fakultät

Rechtsphilosophie

AJB

Ein alter Gedanke ist nicht notwendig auch ein veralteter. Dass nämlich die Idee der Gerechtigkeit erst durch ein Gesetz konkret und nützlich wird, das wusste man schon in der Antike. Sie sah die Idee der Gerechtigkeit darin zu verwirklichen, dass jedem Menschen das Seine gegeben werde. Als Erster präzisierte der griechische Philosoph Plato diese Idee. Er sagte, die Gesetzgebung habe das Seine durch den Grundsatz der Gleichheit zu bestimmen. Sein bedeutendster Schüler Aristoteles widmete der Thematik der Gerechtigkeit das gesamte fünfte Buch seiner 'Nikomachischen Ethik'. Diese Vorstellungen haben das Thema vom Mittelalter bis in die neueste Zeit hinein grundlegend geprägt. Auch er sah die Gerechtigkeit in dem vom Gesetz für alle Bürger Gleichgeltenden. Doch dabei entdeckte er auch, dass dieser Satz nur solange stimmt, als die Sachverhalte gleich beurteilt werden können. Je entwickelter eine Gesellschaft ist, desto unterschiedlicher werden die Sachverhalte, die auch entsprechend unterschiedlich zu beurteilen sind. Daher sollte nur das Gleiche gleich, das Ungleiche aber ungleich behandelt werden. Aristoteles unterschied ferner zwei besondere Formen der Gerechtigkeit, die er mit Bezug auf die Verdienste von Personen als verteilende (distributive) und ohne Rücksicht auf das Ansehen der Personen als ausgleichende (kommutative) Gerechtigkeit definierte. Die distributive Gerechtigkeit honoriert die besonderen Leistungen und Verdiensten der Einzelnen, die kommutative dagegen schafft Ausgleich durch Strafe für eine Untat. Dadurch sollte jeder Bürger das Seine nach Massgabe des Gesetzes erhalten. Und solche Gerechtigkeit sichert nicht zuletzt auch den sozialen Frieden. Das ist gewiss kein veralteter, sondern ein noch höchst aktueller Gedanke, auch wenn diese topmoderne Feststellung schon gute 2350 Jahre alt ist.

Prof. Dr. Marcel Senn

Rechtsphilosophie an der Universität Zürich