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Die Boten des Schlafs

Wie lässt es sich erklären, dass unsere Schlafgewohnheiten ganz unterschiedlich sind? Dies ist eine von vielen Fragen, die am universitären Forschungsschwerpunkt «Integrative Humanphysiologie» untersucht werden.

Von Susanne Haller-Brem

Kinder sind sehr unterschiedlich – das zeigt sich auch in ihrem Schlafverhalten. «Wie bei den Erwachsenen gibt es bei den Kindern Langund Kurzschläfer. Während die einen nach wenigen Minuten einschlafen, bleiben andere noch lange nach dem Zubettgehen wach», sagt Oskar Jenni vom Kinderspital Zürich. Zudem gehen die einen früh zu Bett und stehen früh auf, während andere bis in die späten Nachtstunden wach und dafür frühmorgens kaum aus dem Bett zu kriegen sind. Zürcher Longitudinalstudien, in denen seit 1954 Wachstum und Entwicklung bei Kindern von der Geburt bis zur Adoleszenz untersucht werden, haben auch gezeigt, dass sich das Schlafverhalten während der Pubertät eher in Richtung «Nachtmensch» beziehungsweise «Morgenmuffel» verschiebt. «Für Eltern und Fachleute ist wichtig, von dieser Spannbreite zu wissen, um mit dem Kind adäquat umgehen zu können», sagt Entwicklungspädiater Jenni. Welche Mechanismen und Prozesse hinter dieser Variabilität stehen, weiss man bis heute nicht. Ebenso ist noch unklar, wie stabil die Unterschiede des Schlafverhaltens im Laufe des Lebens sind. Eine weitere offene Frage besteht darin, ob ein direkter Zusammenhang zwischen Unterschieden im Schlafverhalten, der Gedächtnisleistung und dem Lernen besteht.

DIE GENE UND DER SCHLAF

Die Regulation des Schlafes wird in Zürich seit Jahren erfolgreich durch parallele Studien bei Mensch und Tier erforscht. Eine enge Zusammenarbeit besteht zwischen dem Institut für Pharmakologie und Toxikologie und verschiedenen Departementen und Kliniken des Universitätsspitals sowie des Kinderspitals. Die Schlafphysiologie soll auch durch den 2005 lancierten universitären Forschungsschwerpunkt «Integrative Humanphysiologie» gestärkt werden. Dieser Schwerpunkt fördert Forschung mit Blick auf den Gesamtorganismus. Um den Mechanismen auf die Spur zu kommen, die für das unterschiedliche Schlafverhalten von Menschen verantwortlich sind, arbeiten Oskar Jenni, der Pharmakologe Hans-Peter Landolt und der Elektroingenieur Peter Achermann eng zusammen. Hans-Peter Landolt, Privatdozent für Pharmakologie und Toxikologie, und seine Arbeitsgruppe erforschen den Einfluss von so genannten genetischen Polymorphismen, das heisst der Vielgestaltigkeit des Erbmaterials, auf den Schlaf. Insbesondere genetisch bedingte Unterschiede beim Botenstoff Adenosin könnten für individuelle Unterschiede beim Schlaf und bei den Folgen von Schlafentzug eine wichtige Rolle spielen.

Peter Achermann, Privatdozent für Schlafforschung und Signalanalyse in der Pharmakologie, ist ein Experte auf dem Gebiet der Schlaf- und Wach-Elektroenzephalographie (EEG), die für die Untersuchung der Schlafregulation das wichtigste Instrument darstellt. Er erforscht unter anderem, welche Elemente des Schlaf-EEGs eines Individuums stabil sind und somit eine Art «Fingerabdruck» darstellen. Weiter lassen sich aus der Variabilität zwischen Personen Rückschlüsse auf Regulationsmechanismen im Schlaf und gegebenenfalls deren Funktion ziehen. In einer Kooperation möchten die Forscher nun herausfinden, ob bestimmte Beziehungen zwischen Entwicklungsbereichen (wie etwa Schlaf und Kognition) nur bei Kindern auftreten oder auch bei Erwachsenen zu finden sind.

Mit dem universitären Forschungsschwerpunkt «Integrative Humanphysiologie» und dem im März 2005 gegründeten Zürcher Zentrum für Integrative Humanphysiologie (ZIHP) möchte die Universitätsleitung den drohenden Verlust an integrativem Wissen stoppen. In den letzten drei Jahrzehnten hatte sich die biomedizinische Forschung immer mehr auf die Ebene von einzelnen Zellen, Molekülen und Genen verlagert. «Forschende, die am ganzen Organ, Tier oder Menschen arbeiten, hatten hingegen einen schweren Stand», erzählt Magdalena Seebauer, Physiologin und Geschäftsführerin des ZIHP. Gerade für jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ist es verlockend, Forschung am Detail zu betreiben, denn diese Resultate sind meist innert nützlicher Frist zu erhalten und können in Zeitschriften mit hohen Impact- Faktoren publiziert werden: ein nicht zu unterschätzender Punkt, wenn man die Karriereleiter erklimmen möchte.

Die Finanzierung des Schwerpunktes und des Kompetenzzentrums ist vorerst auf vier Jahre gesichert. «Wir fördern Forschung, die die molekularen und zellulären Befunde in einen grösseren Zusammenhang stellt und deren Relevanz für das Organ und den ganzen Organismus untersucht», erklärt Thierry Hennet, Professor für Humanbiologie am Physiologischen Institut und stellvertretender Vorsitzender des Leitungsausschusses des ZIHP.

FORSCHERISCHER MEHRWERT

Dieser integrative Ansatz ist aufwändig: Probanden müssen rekrutiert, die vielen Variablen und Störfaktoren beim Menschen möglichst ausgeschlossen oder richtig interpretiert und das Zusammenspiel von Systemen wie Gehirn, Kreislauf und Muskulatur erforscht werden. Dies führt zu viel schwierigeren und längerfristigen Projekten als Forschung, die sich nur mit Einzelaspekten befasst. Erschwerend kommt hinzu, dass sich beispielsweise Immunologen oder Neurobiologen mittlerweile nicht mehr unbedingt als Physiologen sehen, wodurch eine integrative Sicht der Befunde immer mehr verloren zu gehen droht.

Das ZIHP hat unter anderem die Aufgabe, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit physiologischen Fragestellungen zu vernetzen. Geforscht wird in vier verschiedenen Themenkreisen: Herz-Kreislauf, Sauerstoff und Bewegung, Milieu intérieur/Homöostase sowie Zentrale Regulation und Koordination. Dadurch soll die Grenze zwischen biomedizinischer Grundlagenforschung und Klinik durchlässiger werden.

Obwohl das ZIHP und der Forschungsschwerpunkt formal an der Medizinischen Fakultät angesiedelt sind, wird interdisziplinär mit der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, der Vetsuisse und weiteren Fakultäten der Universität Zürich zusammengearbeitet. Die Forschung im Bereich Physiologie wird zudem mit zwei neu geschaffenen Assistenzprofessuren ausgebaut. Wichtig ist laut Magdalena Seebauer, dass sich durch den Zusammenschluss der verschiedenen Forschungsgruppen ein «Mehrwert» ergibt. Das ZIHP will Anschubhilfe geben, angestrebt wird aber die Selbstorganisation.

Ein weiteres wichtiges Ziel des ZIHP ist die Nachwuchsförderung, denn nur so hat die integrative Physiologie auch eine Zukunft. Für Studierende sind deshalb verschiedene Ausbildungsprogramme geschaffen worden. «Wenn es den so ausgebildeten jungen Forschenden in Zukunft gelingt, ihre vielfältigen Kenntnisse für eine Wissenschaftskarriere im medizinischen Bereich gewinnbringend einzusetzen, dann hat das ZIHP ein wichtiges Ziel erreicht», bilanziert Magdalena Seebauer.