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Der Schildkrötenkiller

Die grüne Meeresschildkröte ist vom Aussterben bedroht. Der Virologe Mathias Ackermann will das verhindern: Der Forscher ist dem Schildkrötenkiller – einem Herpesvirus – dicht auf den Fersen.

Von Ruth Jahn

Detektive würden in den Labors von Mathias Ackermann, unweit des Zürcher Tierspitals, keine einzige Zelle des Tiers finden, dem sich der Forscher seit einigen Jahren mit Herzblut widmet. Und auch in seinem ganz in Schwarz und Weiss gehaltenen Büro verrät einzig ein kleiner Briefbeschwerer aus Speckstein die Leidenschaft des Direktors des Instituts für Virologie: Meeresschildkröten. Noch vor wenigen Jahren brodelte Ackermanns Forschungsobjekt in den Suppentöpfen zahlreicher Haute- Cuisine-Gastronomen, auch hierzulande. Heute wird die grüne Meeresschildkröte (Chelonia mydas) – weiterhin auch «Suppenschildkröte» genannt – durch das Washingtoner Artenschutzabkommen geschützt. Die Tierart figuriert dort auf der Liste der am stärksten durch den Menschen bedrohten Arten: Denn vielerorts ist die Lebensgrundlage der gepanzerten Reptilien, das Meerwasser, stark verschmutzt, Brutstrände wurden vom Massentourismus okkupiert und nach wie vor haben es Menschen – illegalerweise – auf Fleisch, Eier oder Panzer abgesehen. Ausserdem enden zahl reiche Tiere als Beifang in den Netzen von industriellen Fischfängern.

TÖDLICHE TUMOREN

Endgültig den Garaus machen könnte den gepanzerten Wesen mit der biblischen Lebenserwartung von bis zu 150 Jahren aber eine Panzootie – das Pendant zur Pandemie bei uns Menschen. Denn in vielen Meeren ist ein Grossteil der Tiere mit einem Herpesvirus infiziert. Die Krankheit löst bei den Schildkröten eine so genannte Fibropapillomatose aus, bei der sich Krebsgeschwülste bilden: am Hals, im Mund, in den Augen, unter den Flossen und innerlich in Lunge, Leber und Herz. Was folgt, ist wochenlanges Leiden. Wenn die Geschwülste sich im Körperinnern ausbreiten, versagen mit der Zeit die Organe, wenn die Tumoren im Mund wachsen, können die Schildkröten bald keine Nahrung mehr zu sich nehmen und verhungern.

Noch kommt die Meeresschildkröte in fast allen Weltmeeren in Küstennähe vor: im Pazifischen und im Indischen Ozean, vor Südamerika, Australien oder Japan, aber auch im Atlantik und im Mittelmeer. Doch das könnte sich bald ändern: «Das Aussterben ist leider ein realistisches Szenario», sagt Mathias Ackermann. Deshalb werde auch der Schildkrötenschutz vielerorts sehr ernst genommen. Zumindest auf Hawaii oder in Florida tut man viel für die Meeresreptilien: Tierschutzorganisationen bewachen die Eiablagestrände zum Teil rund um die Uhr. Strandet an einer hawaiianischen Küste eine erkrankte Schildkröte, ist bald darauf eine Spezialeinheit vor Ort, die das Tier untersucht und gegebenenfalls einschläfert, um sein Leiden zu beenden. An den Küsten der Hawaiiinsel Oahu etwa, wo Mathias Ackermann ein Forschungssabbatical verbracht hat, ist dies trauriger Alltag: Denn etwa 60 Prozent der Tiere, die dort stranden, sind übersät mit Herpestumoren und damit über kurz oder lang dem Tode geweiht.

Der Schildkrötenschutz wird so rigoros betrieben, dass sogar ihr mutmasslicher Retter Mathias Ackermann kaum an die Tiere herankommt: Die hawaiianischen Behörden haben dem Veterinärmediziner und Virologen bislang noch nicht bewilligt, Zellen, Blut oder DNA von kranken oder verendeten Tieren als Forschungsmaterial in die Schweiz zu transportieren. «Dennoch bin ich froh um die gute Bewachung der Meeresschildkröten und die strengen Vorschriften», sagt Ackermann. Er fühle sich dadurch in seiner wissenschaftlichen Arbeit auch nicht gross behindert. Denn für seine Forschung benötigt er – zumindest in der Schweiz – keine Zellen von kranken Schildkröten. Ackermann arbeitet hier mit klonierten Virusgenomen.

Die zugrunde liegende Technologie, die so genannte Bacterial Artificial Chromosome Method, kurz BAC, wurde 1997 erstmals für Herpesviren beschrieben. Sie ermöglicht es, das vollständige Genom eines beliebigen Herpesvirus zu klonieren. Das neue Verfahren war mit ein Grund dafür, dass Mathias Ackermann sich an das Forschungsgebiet der Herpesviren bei Meeresschildkröten wagte und 2003 sein erstes wissenschaftliches Sabbatical auf Hawaii antrat. Auf Herpesviren – wovon es mindestens 200 verschiedene gibt – ist der mit dem Pfizer Award ausgezeichnete Wissenschaftler schon seit Jahren spezialisiert. Nun nahm er sich also vor, das Erbgut dieses Herpesvirus, das für das Massensterben bei den Meeresschildkröten verantwortlich gemacht wird, mit der BAC-Methode zu klonieren und dann zu sequenzieren, um daraus Strategien für Impfung und Therapie der Schildkröten abzuleiten.

ANSTECKUNG UNGEKLÄRT

Allein: Die Herpesviren der Meeresschildkröten verweigern sich in Zellkulturen, bislang ist es nicht gelungen, sie zu züchten. Mathias Ackermann nahm deshalb während seines Sabbaticals im Institute of Marine Biology der University of Hawaii in Manoa Zellproben von verendeten herpesbefallenen Schildkröten. Er extrahierte das darin enthaltene Erbmaterial – notgedrungen das von Schildkröte und Virus – und klonierte alles in bakteriellen artifiziellen Chromosomen (BACs). 18 000 verschiedene solcher BACs in 18 000 Reagenzgläsern musste dann ein Hybridisierungsroboter analysieren, bis sich – aufgrund einer für Herpesviren typischen Gensequenz – dasjenige Kunstchromosom identifizieren liess, das dem Genom des Schildkrötenherpes entspricht.

Dieses BAC konnten die Forscher dann nach Zürich transportieren, klonieren und – stellvertretend für das Virengenom – die Bausteinabfolge der etwa 74 darin enthaltenen Gene vollständig sequenzieren. Von dieser Genanalyse ausgehend will Mathias Ackermann Fragen zur Epidemiologie und Pathogenese der Infektionskrankheit klären: In welchen Schildkrötenorganen finden sich die Herpesviren? In welchen Zellen findet die Vermehrung statt, wo schlummern die Viren, wie werden sie ausgeschieden? Und: Wann und wo werden die Schildkröten überhaupt angesteckt?

Im Team mit Urs Büchler und Fabienne Fritsch führte der Forscher gezielt subklonierte BAC-Gene in Affennieren-Zellkulturen ein, um sie näher zu charakterisieren. Zudem exprimierten die Forschenden die Gene durch In-vitro-Transkription und -Translation – so erhielten sie Viruseiweisse für weitere Untersuchungen. Hierbei bildete sich unter anderem Glykoprotein B, ein «immundominantes » Viruseiweiss. «Dieses Oberflächeneiweiss kennt man auch von anderen Herpesviren und es ist sehr wahrscheinlich, dass es auch bei den Schildkröten eine starke Immunantwort mit Antikörperbildung auszulösen vermag», so Ackermann. Mit dem in-vitro-exprimierten Glykoprotein B will der Forscher entsprechende spezifische Antikörper der Schildkröten nachweisen. Denn «natürliche», von den Meeresschildkröten selbst gebildete Antikörper gegen das Eiweiss verraten ihm, ob ein einzelnes Tier in seinem Leben bereits einmal Kontakt mit dem Virus hatte. Einen serologischen Nachweistest, der mit ein paar Tropfen Schildkrötenblut funktioniert, hat Ackermann bereits «fertig in der Tasche». Bei seinem nächsten Sabbatical auf Hawaii will er damit die ersten Schildkröten testen.

Mit dem Test erhofft sich der Forscher etwas über die Übertragungswege der Krankheit zu lernen: «Wir wissen bisher nämlich noch nicht, wie sich die Schildkröten mit dem Herpesvirus anstecken.» Eventuell wird die Krankheit vertikal übertragen – vom Muttertier zum Ei – und die Tiere kommen bereits mit Herpes auf die Welt. Auch interessiert es den Forscher, welche Faktoren dazu führen, dass die Krankheit Fibropapillomatose ausbricht: «Denn auch das Lippenherpesvirus beim Menschen kann ja lange schlummern, bevor es einen Krankheitsschub auslöst.» Ausserdem will Ackermann von Versuchskaninchen hergestellte spezifische Antikörper gegen Glykoprotein B dazu benutzen, um bei infizierten Schildkröten das Glykoprotein B in den verschiedenen Körperorganen aufzuspüren. So kann er eruieren, in welchen Organen das Virus überhaupt vorkommt – um so mehr über die Krankheit Fibropapillomatose zu lernen.

SCHILDKRÖTCHEN IMPFEN

Falls bei den Schildkröten die Ansteckung erst nach dem Verlassen des Eis, also irgendwann im Schildkrötenleben, stattfindet – was der serologische Bluttest zeigen würde –, wäre auch eine Impfung der kleinen, frisch geschlüpften Schildkröten machbar, meint der Herpesspezialist. Allerdings sieht Ackermann bei der praktischen Durchführung der Impfung bereits eine grosse Schwierigkeit: Werden die frisch geschlüpften Schildkrötchen geimpft, macht das vor allem Sinn, wenn diese sich relativ früh anstecken, da nach einigen Jahren – wenn kein Kontakt mit dem Erreger erfolgt – der Impfschutz nachlässt. Ansonsten sollte später geimpft oder die Impfung aufgefrischt werden. «Deshalb müsste man unbedingt erforschen, wo sich die Tiere im Laufe ihres Lebens eigentlich aufhalten – darüber weiss man noch wenig», erklärt Mathias Ackermann.

Ackermanns Team arbeitet parallel zur Impfstoffentwicklung auch an einer Therapie für die herpeskranken Meeresschildkröten. Startschuss für erste Therapieversuche ist, wenn alles rund läuft, bereits dieses Jahr. Grossangelegte Impfkampagnen an den Stränden Hawaiis können jedoch frühestens 2010 beginnen, so Mathias Ackermann. Mit seiner Forschung könne er sicher keine Nobelpreise gewinnen, räumt der Wissenschaftler ein: «Aber der Gedanke, dass ich einen Beitrag dazu leiste, dass eine gefährdete Tierart überlebt, für deren Aussterben ich sonst mitverantwortlich wäre, ist mir Motivation genug.»