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Matthias Barton leitet an der Universität Zürich das Nationalfondsprojekt «Pathomechanisms of Cardiovascular Injury in Obesity».

Ist Dicksein eine Krankheit?

Von Paula Lanfranconi

Stimmt es, dass Dicksein eine Krankheit ist? Matthias Barton, Oberarzt am Departement für Innere Medizinn des Universitätsspitals Zürich und Privatdozent an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich, zögert keinen Augenblick mit seiner Antwort: «Ja, ganz klar, selbst die WHO hat dies so definiert.»

Übergewicht, das sind nicht einfach ein paar rubenssche Speckfalten, die man absaugen kann und alles ist wieder paletti. Fakt ist: Fettzellen lagern sich auch im Körperinneren ab. In der Bauchhöhle zum Beispiel. «Wir wissen heute», sagt Barton, «dass sie dort nicht bloss Platz wegnehmen, sondern auch die Stoffwechselfunktionen beeinfl ussen.» Fettzellen setzen nämlich Substanzen frei, die den Blutdruck und das Diabetesrisiko erhöhen. Zudemfördern sie Entzündungsvorgänge, welche die Arterienwände verhärten und das Tromboserisiko steigern.

Dieser Teufelskreis beginnt viel früher, als man bisher glaubte. In einer US-amerikanischen Studie analysierte man die Herzkranzgefässe von 3000 jungen Unfallopfern zwischen 15 und 34 Jahren. «Da sah man nicht nur, dass bereits bei Fünfzehnjährigen Ablagerungen vorhanden waren, sondern auch, dass sich umso mehr Ablagerungen gebildet hatten, je höher der Body-Mass- Index war», sagt Matthias Barton.

Ein italienischer Forscher setzte noch früher an. Er untersuchte die Vorstufen dieser Ablagerungen in den Hauptschlagadern von Föten und mass auch den Fettspiegel der Mutter. Je mehr Fett die Mutter im Blut hatte, desto mehr Ablabgerungen fanden sich auch beim Fötus. Glücklicherweise sind solche Veränderungen jedoch potenziell reversibel.

Jeder dritte Jugendliche ist übergewichtig

Wie alle diese Mechanismen zusammenhängen, ist noch weitgehend unerforscht. Matthias Barton und sein Team wollen es im Rahmen eines Nationalfondsprojekts genauer wissen. «Wir untersuchen, inwieweit fettreiche Ernährung und Übergewicht Veränderungen im Organismus mit sich bringen, die möglicherweise das Risiko für Kreislauferkrankungen im späteren Leben bestimmen.» Barton und sein Team verabreichen Mäusen eine Hochfettdiät – eine Art modernes Fastfood. Sie hoffen herauszufinden, ob und welche Programme in der Kindheit in Gang gesetzt werden, die selbst dann aktiv bleiben, wenn man die Diät verändert oder die Individuen sogar abgenommen haben.

Bartons Forschung geht also fast schon in Richtung Pädiatrie, denn Kinder sind die Patienten von morgen – für den Arzt und Forscher «ein Grund, vehement aktiv zu werden.» Schon heute ist in der Schweiz jedes fünfte Kind zu dick und gar jeder dritte Jugendliche übergewichtig. XXL-Portionen sind trendy, immer mehr Kids üben sich als One-Hand-Eater – eine Hand in der Chipstüte, die andere am Gameboy. Die Folgen: Einzelne Stadtzürcher ABC-Schützen schafften es in einer Studie nicht mehr, 20 Meter geradeaus zu laufen; Kinderspitäler behandeln immer mehr Kinder, die bereits an Altersdiabetes leiden, ihre Adipositas- Sprechstunden sind äusserst gefragt.

Doch ab wann ist man adipös? Landläufig beginnt das Übergewicht bei einem Body-Mass-Index von über 25 (Körpergewicht im Verhältnis zum Quadrat der Körpergrösse). Bei einem BMI von über 30 spricht man von Adipositas, ab einem BMI von 35 von schwerem Übergewicht. Heute kommt man indes immer mehr weg vom BMI als allein selig machendem Massstab, weil das Gewicht auch durch die Muskelmasse beeinflusst wird.

Als Risikoindikator gilt heute der Taillenumfang: Übersteigt er bei Frauen 88 cm, bei Männern 102 cm, bestehe Handlungsbedarf, heisst die Devise. Doch das blosse Starren auf den Taillenumfang greift zu kurz: «Ein präziserer Risikoindikator», sagt Mathias Barton, «ist das Verhältnis zwischen Taillen- und Oberschenkelumfang, die Waist-to-Hip-Ratio.» Und die sollte bei Frauen idealerweise um 0.7 und bei Männern um 0.9 liegen.

«Ich war noch nie in einem Fitnesscenter»

Bereits gibt es neben bekannten, aber nicht wirklich wirksamen Schlankheitspillen wie Xenical einen neuen Wirkstoff: Rimonabant. Er soll dem fatalen Bauchfett gezielt zu Leibe rücken. Die neue, in der Schweiz noch nicht zugelassene Pille blockiert Rezeptoren im Gehirn, die unter anderem auch durch Cannabis aktiviert werden. Das Medikament soll gleich auch noch Diabetes und Herzinfarkt vorbeugen. Doch Matthias Barton warnt: «Einfach eine Pille und du bist geheilt, ist der falsche Weg. Ausserdem wissen wir noch kaum etwas über langfristige Nebenwirkungen.» Seine Devise: Informiere dich, verhalte dich verantwortungsbewusst, ändere deinen Lebensstil.

Wie macht er es selber? Er hat es leichter, ist ein Bewegungsmensch. «Aber», sagt er lachend, «ich war noch nie in einem Fitnesscenter.» Er zieht die freie Natur vor. Dieses Jahr, erzählt er bei unserem Gespräch im Spätsommer, habe er 4000 Kilometer auf dem Rennrad zurückgelegt. Bewegung an der frischen Luft also. «Eine einfache Methode, sie kostet nur ein bisschen Zeit.» Und die Überwindung des inneren Schweinehundes notabene.

Bewegung bringts, das wussten schon die alten Griechen. «Jeder Körperteil, der nicht bewegt wird, wird anfällig für Erkrankungen», formulierte bereits – Hippokrates.